Der Homo sapiens tauchte vor rund 200.000 Jahren auf

Als tierische Spezies zeichnet sich der Homo sapiens hauptsächlich durch sein großes Gehirn und seine geistigen Fähigkeiten aus. Emmanuel Todd ergänzt: „Er beobachtet, sammelt Erkenntnisse und häuft Wissen an.“ Einige seiner entscheidenden Fähigkeiten, etwa der Gebrauch von Werkzeug oder die Nutzung des Feuers, waren schon unter seinen Vorgängern verbreitet. Mit dem Auftauchend des Homo sapiens vor rund 200.000 Jahren beschleunigte sich der Erwerb neuer Techniken in einer exponentiellen Größenordnung. Seine Ausbreitung über alle Kontinente, seine Sesshaftwerdung an verschiedenen Orten und die Erfindung der Landwirtschaft um 9000 v. Chr. im Nahen Osten machten es möglich, dass die Population des Homo sapiens in beachtlichem Maße anwuchs. Um 3300 v. Chr. entstanden in Mesopotamien und vor 3000 v. Chr. in Ägypten erste Formen von Schrift und erste Städte. Emmanuel Todd ist einer der prominentesten Soziologen Frankreichs.

In Griechenland wurde die Alphabetschrift erfunden

In China wurde 8000 v. Chr. die Landwirtschaft eingeführt und um 1400 v. Chr. die Schrift erfunden. In Mittelamerika tauchte die Agrarkultur ab 4500 v. Chr. auf. Zu Beginn des 4. vorchristlichen Jahrhunderts entwickelten die Maya ihre Hieroglyphen. Zunächst noch eine Bilderschrift, die in Mesopotamien entwickelt wurde, fand sie vom Ursprungsort aus weitere Verbreitung. In Richtung Westen erfuhr sie dabei eine Vereinfachung. Um 1200 v. Chr. erreichte sie in Phönizien das Stadium der Konsonantenschrift und um 800 v. Chr. in Griechenland das einer Alphabetschrift.

Emmanuel Todd fügt hinzu: „Das lateinische und das später entstandene kyrillische Alphabet stellen nur eine historische Weiterentwicklung des griechischen Systems dar. Bei einer weiteren Ausbreitung nach Osten entstand im 3. vorchristlichen Jahrhundert das altindische Brahmi, eine halbalphabetische Schrift, die wahrscheinlich aus einer semitischen wie der aramäischen hervorgegangen war.“ Der Einflussbereich des Chinesischen erstreckte sich dagegen nur bis Korea, Japan und Vietnam.

Die Alphabetisierung hat sich im 17. und 18. Jahrhundert enorm beschleunigt

Auch wenn sich die großen Kulturen der Antike auf die Schrift stützten, waren im Altertum anscheinend kaum mehr als zehn Prozent der Bevölkerung alphabetisiert. In der hellenistischen Welt konnte in den am weitesten entwickelten Städten wie Rhodos oder Teos die männliche Bevölkerung zu höchstens 20 bis 30 Prozent lesen und schreiben. Einen Aufschwung erlebte die Alphabetisierung in Europa schließlich im Hochmittelalter, vom 11. bis zum 13. Jahrhundert.

Es ist für Emmanuel Todd vernünftig, wieder die Alphabetisierung als die Hauptachse der menschlichen Entwicklung anzusetzen. Als solche wurde sie im 18. und 19. Jahrhundert üblicherweise, so auch von Condorcet, Hegel und faktisch von fast sämtlichen Kulturtheoretikern, betrachtet, ehe der Ökonomismus in den Geisteswissenschaften jene Blindheit herbeiführte, die gegenwärtig das Geschehen bestimmt. Wie Emmanuel Todd feststellt, hat sich die Alphabetisierung im 17. und 18. Jahrhundert auf spektakuläre Weise beschleunigt. Quelle: „Traurige Moderne“ von Emmanuel Todd

Von Hans Klumbies