Aus Zwischenräume schöpfen Menschen das Sinnliche

Die „Phänomene“ leben diesseits der Seele, aber jenseits der Dinge. Emanuele Coccia erklärt: „Der Ort, an dem die Dinge zu Phänomenen werden, ist also nicht die Seele, aber ebenso wenig deren eigene Existenz.“ Damit es Sinnfälliges und folglich Empfindung geben kann, schreibt Aristoteles, „muss es notwendig etwas geben, was dazwischen liegt“. Zwischen den Menschen und den Gegenständen gibt es immer einen Zwischenort, etwas, in dessen Schoß der Gegenstand sinnfällig wird, zum phainomenon. Aus diesem Zwischenraum schöpfen Lebewesen das Sinnliche, mit dem sie Tag und Nacht ihre Seele nähren. Auch um sich selbst zu beobachten, muss jeder Mensch notwendigerweise imstande sein, das eigene Bild außerhalb von sich selbst zu konstituieren – also in einem Außenraum. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.

Der Mensch ist immer nur in einem Raum wahrnehmbar

Im Spiegel sind die Menschen in der Lage, sinnfällig zu werden. Und von ihm fordern sie ihr Bild ein. Im Übrigen kann man erst wirklich hören, was man sagt, wenn man ein paar Worte ausgesprochen hat. Es reicht jedoch nicht, die Unmöglichkeit der unmittelbaren Selbstwahrnehmung zu bekräftigen. Die Menschen müssen vielmehr begreifen, dass sie, auch für sich selbst, immer in einem Raum wahrnehmbar werden. Dieser ist in gewisser Weise äußerlich, zwischen wahrnehmendem Ich und wahrgenommenen Ich.

Nur außerhalb von einem selbst wird etwas erfahrbar. Sinnfälligkeit entsteht nur in dem Zwischenkörper, der sich zwischen Objekt und Subjekt befindet. Emanuele Coccia erläutert: „Dieses schenkt uns all unsere Erfahrungen, dieses Medium gibt unermüdlich Licht und Farbe, Schall und Geruch von sich.“ Erfahrung und Wahrnehmung werden nicht durch die Unmittelbarkeit des Realen ermöglicht, sondern durch die Beziehung der Kontiguität. Die Nachbarschaft zu diesen Ort oder Zwischenraum besitzen alle Lebewesen.

Zwischenräume erzeugen Bilder

In diesem Zwischenraum ist das Reale sinnlich wahrnehmbar. Aber dieser Raum ist nicht leer. Er selbst ist ein Körper, allerdings von Mal zu Mal anders. Er entspricht dann den verschiedenen Sinnfälligkeiten, aber ohne spezifischen Namen und mit einem konstanten Vermögen – dem Vermögen, Bilder zu erzeugen. Im Schoß dieses Mediums verwandeln sich körperliche Gegenstände zu Bildern. Auf diese Weise wirken sie unmittelbar auf die menschlichen Wahrnehmungsorgane ein.

Wahrnehmung gibt es laut Emanuele Coccia nur, weil es ein Dazwischen gibt. Sinnlichkeit findet nur statt, weil es jenseits der Dinge und des Geistes etwas gibt, das vermittelnder Natur ist. Im Spiegel findet sich die vollkommenste Verkörperung jenes Zwischenkörpers. Dieser ist zugleich außerhalb des Subjekts und des Objekts und ermöglicht es Letzterem, die eigene Seinsweise zu verändern, und somit zum „Phänomen“ zu werden. Und er ermöglicht Ersterem Sinnliches zu schöpfen, das es zum Leben braucht. Quelle: „Sinnenleben“ von Emanuele Coccia

Von Hans Klumbies

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