Die Metamorphose ist eine Eigenschaft von Körpern, die sich von ihrer Kindheit niemals trennen. Andererseits hört ein Körper auf, wenn er nicht mehr fähig ist seine Kindheit zu erfahren, sich zu verwandeln. Emanuel Coccia ergänzt: „Die Idee, dass die Jugend nicht nur eine vorübergehende Etappe im Leben eines Körpers ist, sondern eine stabile und konstante Struktur eines jeden lebendigen Körpers darstellt, ist in der Biologie oft gehegt worden.“ Jugend und Alter sind organische und geistige Kräfte, die im Leben jedes Individuums zu jeder Zeit zusammen auftreten. Schon das Kind hat alte Zähne – die Milchzähne – zu frühem Untergang bestimmt, und noch im späten Alter erscheinen junge Zähne – die Weisheitszähne. Emanuele Coccia ist Professor für Philosophiegeschichte an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris.
Die Metamorphose ist die Verjüngung des Lebendigen
Die Jugend ist also keine Frage des Alters. Sie ist eine Verjüngungskraft und von derselben Intensität wie die Alterungskraft. Auch wenn sie ihr entgegenwirkt, zeigt sie sich das ganze Leben des Individuums hindurch. Emanuel Coccia erklärt: „Die Metamorphose ist demnach nichts weiter als der Zyklus der verschiedenen, periodisch auftretenden Verjüngungen des Lebendigen.“ Menschen sind dazu verdammt, sich zu verwandeln, weil sie sich niemals von ihrer Jugend trennen können, jener Kraft der Verjüngung, die den Körper ständig weiter modelliert.
Die Qualle scheint die Fähigkeit der Insekten, zwanglos von einer Gestalt zur anderen zu wechseln, auf die Spitze zu treiben. Verjüngung existiert unabhängig von der Geschichte und Biografie der Lebewesen. Sie ist eine strukturgebende Kraft, die zu jeder Zeit die Körper belebt. Emanuele Coccia erläutert: „Alle Lebewesen können ihre Haut härten, um Kindheit abzusondern. Ihren Körper bearbeiten, ihre Knochen vernichten, ebenso ihr Fleisch, das zu verhärtet ist und zu verlebt, um daraus eine zukünftige Jugend zu destillieren.“ Das Wunder der Metamorphose ist genau das.
Immer das Leben als solches verjüngt sich
Die Reproduktion als solche ist daher kein einfacher Vermehrungsvorgang. Sondern sie ist ein Weg der Verjüngung, der über die Konstituierung eines numerisch anderen, autonomen Körpers führt. Emanuele Coccia stellt fest: „Was sich tatsächlich verjüngt, ist nicht die Gestalt, die das Leben annimmt, sondern immer das Leben als solches. Darum ist Metamorphose oft so schmerzlich.“ Das sind die Tage, an denen alles brutal erscheint. Wenn die Schläge, mit denen man sich selbst traktiert, einem härter vorkommen als jene, die einem die Welt erteilt.
Emanuele Coccia fügt hinzu: „Wir sind verschlossen, und trotzdem tut alles weh. Wir sind im Kokon eingeschlossen, um Kindheit hervorzubringen.“ Man vergisst dabei die Welt und bastelt stundenlang in aller Unschuld die Vergangenheit um. Da draußen ist scheinbar nichts als Ablehnung und Gewalt, hier drinnen nichts als schöpferische Phantasie für eine undenkbare, unvorstellbare Zukunft. Alle Lebewesen gebären und fabrizieren die zukünftige Kindheit, die nicht nur ihnen gehört, sondern der ganzen Erde. Quelle: „Metamorphosen“ von Emanuele Coccia
Von Hans Klumbies