Alleinsein muss nicht nur schmerzlich, es kann auch erfüllend sein. Theodor Fontane schrieb einst: „Lieber Einsamkeit und ein Buch und eine Zeitung als schlechte Gesellschaft, von der man nichts hat als Ärger und mitunter direkte Beleidigung.“ Aber was Theodor Fontane meint, ist freiwillige Zurückgezogenheit. Einsamkeit ist selten gewählt und nie gewollt. Wenn sich Menschen zurückgestoßen fühlen, funken in derselben Hirnregion die Neuronen wie bei einem Schnitt in die Haut. Der Mann, der die Folgen des ungewollten Alleinseins untersucht, heißt John Cacioppo und lehrt an der University of Chicago. Bevor sich der Psychologe dem Gefühl der Isolation zuwandte, dachte man, Einsamen gehe es schlechter, weil niemand nach ihnen schaut. Es war John Cacioppo, der herausfand, dass es sich umgekehrt verhält: Der Grund warum sie krank werden, ist die Einsamkeit selbst.
Alte Menschen müssen nicht zwangsläufig einsam werden
Das Zentrum der Emotionen reagiert bei den Einsamen nur noch schleppend, weswegen ein lächelndes Gesicht kaum Glücksgefühle auslöst. Ihr präfrontaler Kortex, eine Region im Stirnlappen, dafür da, Impulse zu kontrollieren, reagiert verhalten. Setzt man ihnen eine Dose Kekse vor die Nase, können sie sich schlechter beherrschen. Sich zu konzentrieren fällt ihnen schwerer. Sie neigen zu ungesunder Ernährung, Demenz und Stress. Wer einsam ist, in dessen Erbgut schalten sich Gene an, die die Immunabwehr schwächen.
Einsamkeit ist ein guter Indikator, um das Risiko zu bestimmen, ob jemand früher stirbt, weit besser als Übergewicht. Amerikanische Psychologen haben ausgerechnet, dass sie die Lebenserwartung ähnlich senkt wie 15 Zigaretten am Tag. Institutsleiter Clemens Tesch-Römer vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) sagt: „Wer im Alter einsam ist, der leidet. Das ist ein echtes Problem. Aber mit dem Alter steigt nicht zwangsläufig das Risiko, einsam zu werden.“ Denn wer heute in Deutschland in Rente geht, ist gesünder und reicher als jemals zuvor.
Die Einsamkeit trifft vor allem die Schwachen
Die Risikofaktoren für Einsamkeit heißen nicht Alter und Alleinsein. Sie heißen: Armut, Krankheit, Umbrüche. Für Jüngere sind es oft Umzüge, die Irrungen der Pubertät oder die Trennung der Eltern. Bei alten Menschen kann es ein Sturz sein. Es sind solche Schicksalsschläge, die einen Menschen im Leben immer wieder treffen. Er strauchelt jedes Mal. Die meisten finden das Gleichgewicht wieder. Aber ein kleiner Teil stürzt. Das DZA weiß, dass die Alten heutzutage eher mehr Vertraute haben als früher.
Die Alten empfinden Alleinsein als weniger schlimm als Jugendliche, weil es ihnen nicht als Ausweis des Versagens gilt, Und doch sin die Einsamkeitswerte in den letzten Jahren stabil, sie werden nicht besser, aber auch nicht schlechter. Daher ist es gut möglich, dass es sich mit dem Alter ein bisschen verhält wie mit dem Internet. Die einen profitieren, die anderen leiden. Und insgesamt gleicht sich der Effekt aus. Die Einsamkeit in Deutschland ist allerdings nicht gleich verteilt. Sie trifft vor allem die Schwachen: Arme, Alleinerziehende und Migranten. Quelle: Der Spiegel
Von Hans Klumbies