Das fundamentale Prinzip der Natur lautet Kooperation

In seinem neuen Buch „Im Wald vor lauter Bäumen“ beschreibt Dirk Brockmann hochkomplexe Themen und Krisen der Gegenwart. Er vertritt die These, dass sie nur mit Blick auf ihre Vernetzung und Muster zu verstehen sind. Dabei schaut der Autor auf Phänomene wie Pandemien, Massenpanik und Verschwörungserzählungen. Er sucht nach Gesetzmäßigkeiten und verbindenden Elementen zwischen sozialen Phänomenen und komplexen Prozessen in der Natur. Die einzelnen Kapitel handeln von verschiedenen Phänomenen wie Kooperation, Kritikalität, Kipppunkten, komplexen Netzwerden, kollektivem Verhalten und Koordination. Wenn alles gut geht, sollte sich im Kopf des Lesers dann automatische das Bild „Natur und Gesellschaft aus der Sicht der Komplexitätswissenschaft“ ergeben. Dirk Brockmanns Fazit lautet: „Um die Krisen unserer Zeit zu bewältigen, müssen wir antidisziplinär denken und auf das fundamentale Prinzip der Natur setzen: Kooperation.“ Der Komplexitätswissenschaftler Dirk Brockmann ist Professor am Institut für Biologie der Berliner Humboldt-Universität.

Das Denken sollte sich auf dynamische Zusammenhänge konzentrieren

Um die heutigen Probleme zu lösen und aktuelle sowie sich anbahnende Katastrophen besser zu bewältigen, muss man vernetzt denken. Man muss erkennen können, welche Elemente essenziell sind, und, viel wichtiger, welche Details man vernachlässigen kann. Man muss nach grundlegenden Mechanismen, Mustern und Regelmäßigkeiten suchen. Hierbei geht es aber um mehr als um die rein qualitative Beschreibung der Phänomene. Die Mechanismen, Muster und Regeln sind dann sehr wertvoll.

Denn sie helfen nicht nur ein System zu beschreiben, sondern auch vorherzusagen, wie es auf Veränderungen der äußeren Bedingungen reagiert. Deshalb bietet gerade der Komplexitätsansatz hier eine wirkungsvolle Ergänzung zu den traditionellen wissenschaftlichen Herangehensweisen. Dirk Brockmann erläutert: „In einer Welt, in der man praktisch das gesamte Weltwissen auf seinem Smartphone mit sich herumträgt, können wir unser Denken auf dynamische Zusammenhänge konzentrieren, ohne in Disziplinen und Wissenssilos abzutauchen.“

Kooperation stabilisiert biologischen und soziale Systeme

Sehr komplizierte Systeme zeigen oft einfaches Verhalten, was aber in der Komplexität des Systems nicht unmittelbar erkennbar ist. In der Komplexitätswissenschaft verwendet man den Begriff „Emergenz“, wenn also ohne oberflächlich ersichtlichen Grund aus einem komplizierten Durcheinander eine Ordnung oder Struktur erwächst. Das wissenschaftliche Geschick besteht darin, herauszufinden, wie komplexe Phänomene zustande kommen und welchen verborgenen Regeln sie folgen.

Für soziale Wesen steckt in kooperativen Handlungen ein Mehrwert. Kooperation zwischen einzelnen Personen kann sehr vielschichtig und unterschiedlich sein. Dirk Brockmann erklärt: „Wie wir Menschen als soziale Primaten Informationen teilen, hängt sehr stark von der Beziehung ab, vom Kontext.“ Da Kooperation so ein wichtiges Element in biologischen und sozialen Systemen ist, kann man davon ausgehen, dass sich verschiedene Mechanismen zu ihrer Stabilisierung entwickelt haben.

Im Wald vor lauter Bäumen
Unsere komplexe Welt besser verstehen
Dirk Brockmann
Verlag: dtv
Gebundene Ausgabe: 232 Seiten, Auflage 3: 2021
ISBN: 978-3-423-28299-4, 22,00 Euro

Von Hans Klumbies