Die soziale Umwelt formt das menschliche Gehirn

Es gibt einen besonders starken, nachhaltigen und wissenschaftlich zweifelsfrei nachgewiesenen Einfluss auf das Gehirn. Dabei handelt es sich um das, was ein Mensch in seinem sozialen Umfeld erlebt und tut. Manche Kinder fühlen sich in ihren Familien geborgen. Denn dort bekommen sie viele Anregungen und werden sportlich und musikalisch gefördert. Dabei kommt es im Gehirn zur Aktivierung von Genen, die Wachstumsfaktoren der Nerven herstellen, die dann ihrerseits für eine gute Entwicklung des Gehirns sorgen. Joachim Bauer fügt hinzu: „Kinder, die vernachlässig wurden oder Gewalt erlebt haben, zeigen im Vergleich dazu eine bis zu dreißigprozentige Verminderung ihrer grauen Substanz.“ Dass die soziale Umwelt das menschliche Gehirn formt, ist heute alles andere als eine gewagte Außenseiterhypothese, sondern Stand der modernen Neurowissenschaften. Joachim Bauer ist Arzt, Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Bestsellerautor von Sachbüchern.

Kulturen unterscheiden sich gravierend voneinander

Soziale Umwelten, die sich Menschen dieser Erde konstruiert haben und denen sie ausgesetzt sind, unterscheiden sich auf unserem Planeten teils gravierend voneinander. Eine spezifische, von vielen Menschen geteilte Art und Weise, die Welt zu deuten und zu verstehen und in ihr zu handeln, bezeichnet man als Kultur. Wenn soziale Umwelten das Gehirn des Menschen prägen, dann kann man annehmen, dass auch Kulturen im Gehirn des Menschen ihren Fingerabdruck hinterlassen sollten.

Joachim Bauer stellt fest: „Menschen in westlichen Ländern tendieren dazu, ihre Lebensweise für den Normalfall zu halten. Da, wo Menschen anders leben als wir, wird dies oft als Rückständigkeit betrachtet.“ Diese anmaßende imperiale Position droht zu einer immer bedeutenderen Ursache von globalen Konflikten und Kriegen zu werden. Tatsächlich teilen den individualistischen Lebensstil, wie er sich in den westlichen Ländern entwickelt hat, nur etwa ein Drittel der Weltbevölkerung.

Gemeinschaftskulturen prägen Asien und Arabien

Zwei Drittel der Menschheit leben in Gemeinschaftskulturen. Joachim Bauer erläutert: „Die meisten asiatischen und arabischen Länder sind durch eine Gemeinschaftskultur geprägt, die meisten westlichen Länder sind markant individualistisch orientiert.“ Stereotype bringen die Gefahr mit sich, dass man die Einzigartigkeit eines jeden einzelnen Menschen auslöscht. Dies gilt es zu beachten und zu bedenken. Wenn man sich über eine fremde Kultur kundig machen möchte, dann sollte man sich, wenn möglich, auf Beschreibungen stürzen, die aus dem betreffenden Kulturkreis selbst kommen.

Das zentrale Merkmal der arabischen Kultur ist, dass die Bewahrung des sozialen Zusammenhalts in der Familie oder Großfamilie über individuellen Interessen steht. Die Identität eines im traditionellen arabischen Kulturkreis definiert sich aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie, einem Stamm und einer Religion. Joachim Bauer ergänzt: „Soziale Zugehörigkeit spielt auch für westliche Menschen eine Rolle, ihre Bedeutung ist in der Regel jedoch geringer.“ Vor allem wählen die Menschen sie selbst aus – eine im arabischen Kulturraum fremde Sichtweise. Quelle: „Wie wir werden, wer wir sind“ von Joachim Bauer

Von Hans Klumbies

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