Die geschichtliche Epoche der Renaissance wird in der Regel im 15. und 16. Jahrhundert angesiedelt. Aber diese Abgrenzung ist nicht ganz genau. Denn schon nach der Jahrtausendwende künden sich überall im Abendland Tendenzen der Erneuerung an, die im 13. Jahrhundert dann bestimmter werden. Historiker denken hier in erster Linie an die Blüte der provenzalischen und italienischen Dichtung, an die Entstehung der Formensprache der Gotik in Frankreich, an die Bewegung, die vom heiligen Franz von Assisi geprägt wurde und an dem nach der Art der Antike gestaltenden Charakter des Kaisertums Friedrichs II. Vorläufer des neuen Geistes der Renaissance finden sich in der italienischen Literatur des 14. Jahrhunderts, in den Werken eines Dantes, Petrarca oder Boccaccio, in den Bildwerken der Pisani und in der Malerei Giottos.
Die Träger der neuen Kultur waren Menschen mit Selbstbewusstsein und Einsatzfreude
Der alte ideologische und politische Konflikt zwischen Papst und Kaiser hat in der Renaissance stark an Bedeutung verloren. Neue Staatsformen, die selbstständig agieren, bilden sich heraus. Einerseits die monarchischen Nationalstaaten, andererseits, vor allem in Italien, Kommunen und Seerepubliken, die zu einflussreichen Regionalmächten heranreiften. Die Träger der neuen Kultur waren die Feudalherren, die ihren Staat monarchisch einrichteten und die Bürger, die durch ihr Geschick als Kaufmänner zu Geld und Macht gekommen waren.
Zu den Schöpfern der neuen Kultur zählen auch Gelehrte, die alte Wertordnungen hinterfragen, und Künstler, die sich um eine lebensnahe Darstellung in ihrer Bildersprache bemühen. Sie alle repräsentieren einen neuen Typ Mensch von selbstbewusster und einsatzfreudiger Tatkraft. Es ist die Selbstentdeckung des Individuums, die sich hier im frühen 14. Jahrhundert ereignet. Mit ihr beginnt der große geschichtliche Prozess, dem die heutige moderne Zivilisation ihre Existenz verdankt.
In Florenz erhält der Humanismus sein gültiges Gepräge
Zuerst bildeten sich diese neue Haltungen und zukunftsträchtigen Anschauungen in Florenz heraus. Die Bewegung greift dann auf andere italienische und später auch außeritalienische Zentren über, um sich schließlich in den großen ideologischen und politischen Kämpfen des 16. Jahrhunderts in einer Krise zuzuspitzen. Diese vergleichsweise kurze Geschichtsepoche zählt zu den fundamentalsten Wandlungen der Menschheit. Alles Vergangene wird einer gnadenlosen Prüfung unterzogen, mit neugewonnenen Maßstäben gemessen und mit kühnem Vertrauen in eine vielversprechende Zukunft beiseite gelegt.
Das Weltbild des Humanismus, das heißt die neue, sich von den mittelalterlichen Auffassungen abhebenden Gesinnung, erhält in Florenz sein gültiges Gepräge. Schon im 14. Jahrhundert war das Interesse am eindringlichen Studium der antiken Originaltexte erwacht. Aber erst in Florenz werden der Sinn und die Ziele einer solchen Forschung erkannt. Man begreift durch das Studium der Antike das Erbe eines jahrtausendalten Bemühens um die Erforschung der Wirklichkeit und zugleich den vollendeten und allgemein verständlichen künstlerischen Ausdruck dieser Welterfahrung.
Von Hans Klumbies