Die neuen Sozialmilieus in Deutschland

Die Wissenschaftler des Sinus-Instituts erforschen seit dreißig Jahren die Zusammensetzung der deutschen Gesellschaft und haben nun die Sozialmilieus Deutschlands neu definiert. Dabei teilen die Gesellschaftsforscher die Deutschen in große soziale Gruppen ein. Obwohl sie nur zehn Milieus benötigen, um die deutsche Gesellschaft zu umreißen, stellen sie fest, dass die Menschen in Deutschland immer mehr auseinanderdriften. Im Vergleich zur Studie von 2001 fällt das Verschwinden der so genannten DDR-Nostalgiker auf. Diese Gruppe, die als traditionell und sozial unterprivilegiert beschrieben wurde, hat sich weitgehend aufgelöst. Laut Sinus-Geschäftsführer Bodo Flaig wird der Rest nun im neuen Modell dem prekären Milieu zugerechnet.

Émile Durkheim entwickelt die Idee der sozialen Milieus

In den Sinus-Milieus in Deutschland 2010 taucht auch eine neue Gruppe auf, das expeditive Milieu. Die Gesellschaftsforscher beschreiben diese Menschen wie folgt: „Hyperindividualistisch, mental und geografisch mobil, digital vernetzt und immer auf der Suche nach neuen Grenzen und nach Veränderung.“ Verändert haben sich alle Milieus, seit der letzten Studie im Jahr 2001. Zu tief greifend war der Wandel in der deutschen Gesellschaft im vergangenen Jahrzehnt.

Die Idee der sozialen Milieus hat der französische Soziologe Émile Durkheim entwickelt. Er ging davon aus, dass sich gesellschaftliche Gruppen relativ gut anhand des sozialen Status und ihrer Wertorientierungen einteilen lassen. In der neuen Studie des Sinus-Instituts erkennen die Gesellschaftsforscher einige große Trends: Die Modernisierung und Individualisierung der Gesellschaft schreitet weiter voran. Die Bildung, vor allem der jüngeren Generationen nimmt zu, wodurch sich ihre Entfaltungsmöglichkeiten deutlich verbessern.

Die Mittelschicht in Deutschland wird kleiner

Auf der anderen Seite werden gerade ältere Menschen von den rasanten gesellschaftlichen Veränderungen überfordert. Sie sind deshalb verunsichert und sind auf der Suche nach Übersichtlichkeit. Die Forscher glauben, dass vor allem durch die Digitalisierung und die Globalisierung die Lebenswelten der Menschen immer mehr auseinanderdriften. Nicht alle können bei der Beschleunigung des Lebens mithalten und werden sozial deklassiert.

Selbst in der ökonomischen Mittelschicht herrschen inzwischen große Ängste vor dem sozialen Abstieg. Zwischen 2001 und 2010 sank der Anteil der Deutschen in der Mittelschicht von 65 auf 62 Prozent. Allerdings führen die gesellschaftlichen Veränderungen selten dazu, dass Menschen im Berufsleben ihr Leben neu justieren und in ein neues Milieu eintauchen. Bodo Flaig erklärt: „Wir wissen aus empirischen Studien, dass die Milieuzuordnung nach dem Berufseinstieg relativ stabil ist.“

Die deutsche Gesellschaft ist sehr heterogen geworden

Milieuforscher definieren einen sozialen Status nicht nur nach Einkommen und Vermögen, sondern immer auch nach Prestige, Bildung und Sicherheit. Nicht nur die Studie des Sinus-Instituts, sondern auch die Forschungsergebnisse anderer Gesellschaftsforscher bestätigen die These vom Aufweichen der klassischen Wertekataloge.

Es könnte durchaus sein, dass es zunehmend schwieriger werden wird, überhaupt noch große Milieus in der deutschen Gesellschaft aufzuspüren. Vor allem Jugendliche sind für die Wissenschaftler schwer einzuordnen, da sie gerne traditionelle mit modernen Werten kombinieren. Da die deutsche Gesellschaft sehr heterogen geworden ist, lassen sich auch nicht mehr pauschal verschiedene Milieus zu Obergruppen zusammenfassen.

Von Hans Klumbies