Gustav Mahlers Musik ist rätselhaft und doch populär

Das musikalische Werk des Komponisten Gustav Mahler umfasst neun vollendete Symphonien, eine Unvollendete, einige Liederzyklen ein paar Lieder und ein Klavierquartett. In der Gegenwart ist seine Musik so populär wie nie zuvor. Das kommt wahrscheinlich daher, dass sie in Extremen schwelgt: Überschäumendes und Entgrenztes, folkloristische Passagen sowie teilweise banale Einsprengsel wechseln einander ab. Gustav Mahlers Musik ist zudem gekennzeichnet vom Selbstmitleid und der Sehnsucht nach einer besseren Welt. Der Komponist schuf vieldeutige Partituren, die vielleicht rätselhafter sind als jede andere Musik. Als zentrales Wesensmerkmal seiner Partituren ist die Vielfalt an Auslegungsmöglichkeiten zu erkennen. Im Gegensatz zu dem Harmoniker Anton Bruckner komponiert Gustav Mahler seine Musik linear in Stimmen.

Gustav Mahler schuf autonome Kunstmusik

Die Symphonien von Gustav Mahler sind das extreme Beispiel einer Polyphonie, die radikal durchgearbeitet wurde. Der Komponist zieht hier alle Register der Instrumentation, die auf die Verdeutlichung der Stimmführung zielt, während als Gegenbeispiel Richard Strauss mehr Wert auf das Kolorit seiner Musik legte. Als Vorbild hinter dem musikalischen Denken Gustav Mahlers tritt deutlich Johann Sebastian Bach hervor. Dirigenten wie Bruno Walter begriffen Gustav Mahlers Symphonien als autonome Kunstmusik, in der die Ideen und die Form zu einem harmonischen Ganzen zusammenfinden.

Die meisten Musikexperten sind sich darin einig, dass Gustav Mahler kein Originalgenie war, der im Sinne der Romantik unverkennbar eigenständige Kompositionen erschuf. Er war vielmehr ein genialer Imitator, der zwar fremdes Gedankengut in seine Werke einbaute, es aber total verfremdete, verdrehte, ins Bombastische steigerte oder ins Minimalistische übertrug sowie in ganz neue Zusammenhänge transferierte. Gustav Mahler war außerdem ein Mann der Dörfer und der kleinen Leute. Dort fühlt er sich wohl, auf dem Land, in der freien Natur, kann er seine Symphonien für die Bewohner der Städte komponieren.

Die Musik Gustav Mahlers will selbst Natur sein

Den Rohstoff, den er bei den Dorfbewohnern für seine Kompositionen findet, veredelt er nicht bis zur Unkenntnis, da er in seinen folkloristischen Werken auch dem Unbehauenen und Rohen seine angemessene Bedeutung zukommen lässt. Gustav Mahler will die Banalität des Dorflebens darstellen, in dem er dann in reinster Form die Seelenqualen der modernen Menschen spiegelt. Es entsteht eine Volksmusik, die in der kontrapunktisch vertrackten Art und Weise eines Johann Sebastian Bach komponiert ist.

Die folkloristische Musik Gustav Mahlers ist die einzige im Genre der Klassik, in der die Natur nicht von außen betrachtet wird, sondern die den Anspruch vertritt, selbst Natur zu sein. Und dennoch verweigert sie sich den Gesetzmäßigkeiten der Folklore und denen der Polyphonie. Seine Kunstmusik gehört einer ganz eigenen Sphäre an. Die letzte und die größte Sehnsucht, die in der Musik Gustav Mahlers zum Ausdruck kommt, ist die Natur und das Aufgehen des Menschen in ihr.

Von Hans Klumbies