Die Menschheit lebt gerade in einer außergewöhnlichen Epoche

Der Gedanke, dass man Einfluss auf die weit entfernte Zukunft nehmen könnte und dabei so viel auf dem Spiel steht, könnte vielen Lesern verrückt vorkommen. So ging es zumindest William MacAskill. Doch die Verrücktheit des langfristigen Denkens hat nichts mit seinem moralischen Ausgangspunkt zu tun, sondern damit, dass wir in einer außergewöhnlichen historischen Epoche leben. Wir leben in einer Ära ungewöhnlicher Umwälzungen. Dazu muss man sich nur das weltweite Wirtschaftswachstum ansehen, das in den letzten Jahrzehnten bei durchschnittlich 3 Prozent im Jahr lag. Das ist historisch ohne jedes Beispiel. Während der ersten 290.000 Jahre der Menschheitsgeschichte war das globale Wirtschaftswachstum pro Jahr nahe null, im Zeitalter der Landwirtschaft stieg es auf 0,1 Prozent, und erst seit Beginn der industriellen Revolution hat e an Fahrt aufgenommen. William MacAskill ist außerordentlicher Professor für Philosophie an der Universität Oxford.

Die Wirtschaft legt ein historisch einmaliges Tempo vor

In den vergangenen zwei Jahrhunderten wuchs die Weltwirtschaft um mehr als 2 Prozent pro Jahr. William MacAskill stellt fest: „Anders ausgedrückt: Um 12.000 v. Chr. brauchte die Weltwirtschaft viele Jahrhunderte, um ihr Volumen zu verdoppeln. Für die letzte Verdoppelung waren dagegen gerade mal 19 Jahre nötig.“ Doch nicht nur die Wirtschaft legt ein historisch einmaliges Tempo vor, sondern auch unser Energieverbrauch, unsere Treibhausemissionen, die Veränderung der Landnutzung, der wissenschaftliche Fortschritt und möglicherweise auch der moralische Wandel.

Man weiß also, dass die Gegenwart im Vergleich zur Vergangenheit eine außergewöhnliche Epoche ist. Aber sie ist es auch im Vergleich zur Zukunft. William MacAskill erklärt: „Die Veränderungen können nicht mit diesem Tempo weitergehen, selbst dann nicht, wenn wir die Energiegewinnung von fossilen Energieträgern befreien und zu den Sternen aufbrechen.“ Die Menschheit könnte noch Millionen oder gar Milliarden Jahre überdauern. Aber die heutigen Wachstumsraten lassen sich nur ein paar Jahrtausende lang aufrechterhalten.

Die Menschheit ist so intensiv miteinander vernetzt wie nie zuvor

Und allein das bedeutet, dass wir in einem außergewöhnlichen Kapitel der Menschheitsgeschichte leben. William MacAskill erläutert: „Verglichen mit der Vergangenheit und der Zukunft, erleben wir in diesen Jahrzehnten wirtschaftliche und technische Veränderungen in außergewöhnlichem Umfang.“ Und einige dieser Veränderungen – die Erfindung des Verbrennungsmotors, der Atombombe, von Krankheitserregern aus dem Reagenzglas und der Künstlichen Intelligenz – können gewaltige Auswirkungen für die gesamte Zukunft der Menschheit haben.

Doch nicht nur die Geschwindigkeit der Veränderungen macht die Gegenwart zu einer außergewöhnlichen Zeit. Wir sind auch so intensiv miteinander vernetzt wie nie zuvor. William MacAskill blickt zurück: „50.000 Jahre lang lebte die Menschheit zersplittert in kleinen Gruppen, und die Menschen in Afrika, Europa, Asien oder Australien hatten schlicht keine Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren.“ Zwischen 100 v. Chr. und 150 n. Chr. lebten jeweils etwa 30 Prozent im Römischen Reich und im Chinesischen Han-Reich, doch die beiden wussten kaum etwas voneinander. Quelle: „Was wir der Zukunft schulden“ von William MacAskill

Von Hans Klumbies