Nach sechs, vielleicht zwölf Monaten hat die Leidenschaft deutscher Paare im Vergleich zu den ersten gemeinsamen Wochen schon deutlich nachgelassen. Das zeigt eine aktuelle, im Fachblatt „Social Science Research“ veröffentlichte Studie. Und es geht weiter rapide abwärts, wie die Forscherinnen des Leibniz-Instituts für Sozialwissenschaften in Mannheim sowie der Ludwig-Maximilians-Universität München schreiben: Nach sechs bis acht Jahren hat das sexuelle Verlangen in Liebesbeziehungen seinen Tiefpunkt erreicht. Danach kann es nur noch wieder besser werden. Das kommt sogar vor, ist aber laut der Studie eher die Ausnahme als die Regel. Das klingt deprimierend, muss es aber nicht sein. Im Gegenteil. Weniger und langweiliger Sex können aus Sicht von Sexualwissenschaftlern sogar ein Indiz für eine stabile Beziehung sein. Probleme bereiten jedoch oft die eigene Erwartungshaltung an Sex.
Sex allein hält keine Beziehung auf Dauer aufrecht
Denn obwohl jeder im Grunde weiß, dass die Lust aufeinander nicht über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg gleich stark bleibt, spüren viele immer wieder diesen leisen Zweifel: Führen meine Frau und ich wirklich eine gute Ehe – wo wir oft doch monatelang nicht miteinander schlafen? Die Wissenschaft stellt sich ähnliche Fragen. Gesucht wird nach einer Art Grundrezept für eine harmonische Beziehung. Wie viel Streit, Harmonie, Gemeinsamkeiten und Freiraum, Erotik und Zärtlichkeiten brauchen glückliche Paare?
„Pairfam“ nennt sich die größte Studie, die es jemals zum Thema Partnerschaft und Familie in Deutschland gegeben hat. Durch das bis 2022 angelegte Projekt wollen Forscher herausfinden, was Beziehungen auf Dauer aufrechterhält. Abenteuerlicher Sex und immerwährende Leidenschaft scheinen es jedenfalls nicht zu sein. Für die meisten Paare gilt: je länger die Beziehung, desto weniger Sex. Die Sozialwissenschaftlerinnen Dr. Jette Schröder und Dr. Claudia Schmiedeberg bestätigen diese Aussage: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs von der Dauer der Partnerschaft abhängt.“
In Bezug auf Sexualität sollte es keine Normalität geben
Weniger Sex bedeutet jedoch nicht, dass die Partner unglücklich sind. Dasselbe sagt Dr. Andrea Burri von der Auckland-Universität in Neuseeland. Die Schweizer Sexualforscherin findet das ganze Tamtam um Sex übertrieben: „Flauten im Bett können immer wieder mal vorkommen – und sind kein Grund zur Sorge.“ Flauten im Bett sind normal. Wobei Andrea Burri bei dieser Formulierung das Wort „normal“ stört. Gerade in Bezug auf Sexualität sollte es laut der Expertin am besten gar keine Normalität geben.
Dies würde der Gesellschaft den Druck nehmen, gewissen – meist utopischen – sexuellen Standards gerecht werden zu müssen. Weniger Fleisch, mehr Sport, weniger dies, mehr das. Andrea Burri kritisiert: „Wir sind ohnehin in zu vielen Lebensbereichen entmündigt. Doch der Mensch verlernt dabei, auf sich und seine Bedürfnisse zu hören. Es wäre schön, wenn wir zumindest die Sexualität noch frei nach Gusto ausleben könnten.“ Mit der Sexualität verhält es sich so wie mit fast allen Lebensbereichen: Jeder will und braucht etwas anderes. Quelle: Apotheken Umschau
Von Hans Klumbies