Die Jagd auf Meeresbewohner zeichnet höchste Intensität aus

Eine Folge der hohen agrarischen Produktivität in modernen Gesellschaften ist, dass das Jagen von Landtieren – die saisonale Erlegung bestimmter Wildvögel und wild lebender Säugetiere – in allen Überflussgesellschaften zu einer nur noch randständigen Ernährungsquelle geworden ist. Vaclav Smil ergänzt: „Im südlich der Sahara gelegenen Afrika wird noch mehr Wildbret gegessen, das meist aus illegaler Jagd stammt, aber angesichts einer rasch zunehmenden Bevölkerung ist die Jagd auch dort nicht mehr die Hauptquelle für tierisches Protein.“ Ganz anders bei der Jagd nach Meeresbewohnern: Sie ist nie zuvor auf breiterer Front und mit höherer Intensität betrieben worden als heute: Riesige Fischereiflotten – das Spektrum reicht von schwimmenden Fischfabriken bis zu morschen Kleinbooten – suchen die Weltmeere nach Fischen und Krustentieren ab. Vaclav Smil ist Professor Emeritus für Umweltwissenschaften an der University of Manitoba. Er hat unter anderem das Grundlagenwerk „Energy and Civilization“ geschrieben.

Sardinen oder Makrelen lassen sich mit relativ geringem Energieaufwand fangen

Die Einbringung dessen, was die Italiener so poetisch „frutti di mare“ nennen, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als die energieintensivste Art der menschlichen Nahrungsbeschaffung. Vaclav Smil erklärt: „Gewiss gilt das nicht für alle Meerestiere, dass sie schwer zu fangen sind; es gibt nach wie vor große Fischbestände, die man einnetzen kann, ohne lange Seereisen in die entferntesten Winkel des Südpazifiks unternehmen zu müssen.“

Vaclav Smil stellt fest: „Reichlich vorhandene pelagische – nahe der Meeresoberfläche lebende – Fischarten wie Sardellen, Sardinen oder Makrelen lassen sich mit relativ geringem Energieaufwand fangen.“ Man kann dabei unterscheiden zwischen indirekten Energie-Investitionen für den Bau der Schiffe und der Herstellung der Fangnetze und dem direkten Energieeinsatz in Form des Dieseltreibstoffs für die Schiffsmotoren. Die besten verfügbaren Analysen zeigen einen Energieaufwand von nicht mehr als 100 ml Dieseltreibstoff pro kg gefangenen Fisch.

Die Ernährung hängt immer stärker von fossilen Brennstoffen ab

Wer gefangenen Wildfisch mit dem denkbar niedrigsten fossilen Fußabdruck essen will, sollte sich an Sardinen halten. Vaclav Smil weiß: „Der Mittelwert für alle Meerestiere liegt verblüffend hoch: Bei 700 ml/kg – was immerhin einer Flasche Wein entspricht –, und die Maximalwerte, die beim Fang bestimmter wilder Garnelen und Hummer fällig werden, erreichen unglaubliche 10 l/kg – einschließlich eines großen Anteils nicht essbarer Schalen.“ Das bedeutet, dass in den Fang einer kleinen Portion Garnelen im Bruttogewicht von 100 g möglicherweise das Energieäquivalent von 0,5 bis 1 l Dieseltreibstoff eingeflossen ist.

Nun könnte man einwenden, dass Garnelen heute ganz überwiegend aus Aquakulturen kommen. Die immer weiter um sich greifenden Aquakulturen haben den Druck auf die Wildbestände einiger der beliebtesten Speisefische etwas vermindert, aber zugleich die Ausbeutung kleinerer Pflanzen fressender Fischarten verschärft, die in immer größeren Mengen geerntet werden müssen, um die Aquakulturen mit Futter zu versorgen. Die Belege sind für Vaclav Smil unübersehbar: Die Ernährung der Menschheit ist ein eine immer stärkere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen geraten. Quelle: „Wie die Welt wirklich funktioniert“ von Vaclav Smil

Von Hans Klumbies