Vilém Flusser sieht in der Demkokratie eine Worthülse

Der Philosoph Vilém Flusser, ein Prager Jude, war in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein Medienstar. Die Menschheit kommt laut Vilém Flusser nicht aus den Genen, die sie mit den Affen teilt, sondern Menschheit ist für ihn nur das, was den Menschen von den Affen trennt: die Information. Das Wissen lässt sich weitergeben, eben weil der Mensch sterblich ist und weil Gott nicht existiert. Tiere sind Würmer oder Affen, die in den vier Dimensionen von Raum und Zeit konsumieren, vegetieren und exkretieren. Der Urmensch bricht aus diesem Kontinuum einen Faustkeil heraus. Der Stein verwandelt sich zur ägyptischen Unsterblichkeit der Pyramide. Der Mensche wird zum Jäger, siedelt sich in dunklen Höhlen an, deren Wände er mit Bildern seiner Beutetiere bemalt. Es beginnt die Anbetung der Flächen.

Die Menschheit ist fast am Ende der Geschichte angelangt

Der Mensch wird sesshaft, siedelt sich an großen Strömen an, nimmt weichen Schlamm zur Hand, um unscheinbare Zeichen einzuritzen. Der Ton wird hart gebrannt und schon ist die Schrift entstanden. Um Priester und Gelehrte los zu werden, befreiten sich später die Bürger Europas selbst vom Alphabet, indem sie in der Zahl die Dimension Null entdeckten. Vilém Flusser vertrat die These, dass sich eine Kultur nicht weiter vorantreiben lasse. Der Körper hat den Zeit-Raum vorgestellt, sich aber auch damit vor ihn gestellt.

Dasselbe tat die Fläche mit dem Körper, die Zeile mit der Fläche. Null und Eins dagegen, die binären Zahlen von Computern, verstellen schlechterdings nichts, sondern machen algorithmisch alles möglich. Vilém Flusser lehrt, dass die Menschheit am Ende der Geschichte angelangt ist, wenn auch noch nicht so ganz. Der Mensch muss sich den Weg, den er genommen hat, erst selbst erklären. Und das geht allein vom Endpunkt her. Vilém Flusser ging davon aus, dass man gar nicht denken könne, wenn es den Computer nicht gäbe.

Die Kommunikation zeigt ihre Strukturen erst im Denken

Seine philosophische Laufbahn hatte Vilém Flusser in Prag begonnen, wo ihm der frühe Martin Heidegger einen Weg zurück zu Edmund Husserl bahnte. Aber statt wie Edmund Husserl die Phänomene ungeschichtlich still zu stellen, dachte Vilém Flusser Hand und Sprache weiter so pragmatisch, so geschichtlich wie nur „Sein und Zeit“. Im Gegensatz zu Martin Heidegger war allerdings Vilém Flusser fest entschlossen, von den exakten Wissenschaften so viel wie möglich zu begreifen.

Die Kommunikation zeigt laut Vilém Flusser, statt auf die ideale Diskursgemeinschaft eines Jürgen Habermas hinauszulaufen, ihre Strukturen erst im Denken, das zum Beispiel zwischen Amphitheater und Theater wie zwischen Kreis und Halbkreis, Rom und Athen zu scheiden weiß. Dennoch gab es vor Flusser selten einen Philosophen, der seinen eigenen Schriften so misstraut und die Zahlen so verehrt hatte.

Demokratie war für ihn eine leere Worthülse, da die algebraische Elite aus Wissenschaft und Technik heute noch unbeschränkter herrscht als im scheinbar finsteren Mittelalter das Latein der Priesterkaste. Flusser starb im November 1991 bei einem Autounfall bei Prag. Der Fischer Verlag hat das Buch „Vilém Flusser: Kommunikologie weiter denken. Die Bochumer Vorlesungen“ veröffentlicht. Es hat 320 Seiten und kostet 12,95 Euro.

Von Hans Klumbies