Die Information repräsentiert die Wirklichkeit

Menschen nehmen die Wirklichkeit heute vor allem auf Informationen hin wahr. Byung-Chul Han erklärt: „Die Informationsschicht, die sich wie eine lückenlose Membran auf die Dinge legt, schirmt die Wahrnehmung von Intensitäten ab. Die Information repräsentiert die Wirklichkeit. Ihre Dominanz erschwert die Präsenz-Erfahrung.“ Menschen konsumieren permanent Informationen. Informationen reduzieren Berührungen. Die Wahrnehmung verliert an Tiefe und Intensität, an Körper und Volumen. Sie vertieft sich nicht in die Präsenz-Schicht der Wirklichkeit. Sie streift nur deren informationelle Oberfläche. Die Informationsmasse, die sich vor die Wirklichkeit schiebt, untergräbt die dingliche Schicht der Wirklichkeit. Bereits Hugo von Hoffmannsthal stellte fest: „[…] die Worte haben sich vor die Dinge gestellt. Das Hörensagen hat die Welt verschluckt.“ Die Bücher des Philosophen Byung-Chul Han wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Roland Barthes unterscheidet zwei Elemente der Fotografie

Eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Dinge geht mit Selbstvergessenheit und Selbstverlust einher. Byung-Chul Han fügt hinzu: „Wo das Ich schwach wird, wird es empfänglich für jene stille Dingsprache. Die Präsenz-Erfahrung setzt eine Ausgesetztheit, eine Verwundbarkeit voraus. Ohne Wunde höre ich letzten Endes nur noch das Echo meiner selbst.“ Die Wunde ist die Öffnung, ja das Ohr für den anderen. Heute sind jene epiphanischen Augenblicke schon aus dem Grund nicht mehr möglich, weil das Ego immer mehr erstarkt. Es wird kaum von den Dingen berührt.

Die Theorie der Fotografie von Roland Barthes lässt sich auf die Wirklichkeit selbst übertragen. Er unterscheidet zwei Elemente der Fotografie. Das erste Element „studium“ betrifft jenes ausgedehnte Feld aus Informationen, die Menschen beim Betrachten der Fotografien registrieren. Es handelt sich um das „Feld der unbekümmerten Wünsche, des ziellosen Interesses, der inkonsequenten Neigung: ich mag / ich mag nicht, I like / I don`t“. Das „studium“ gehört zur Ordnung des to like und nicht des to love.

Dem Element „studium“ fehlt jede Magie

Es wird nur von „vagem, oberflächlichem, verantwortungslosen Interesse“ begleitet. Byung-Chul Han erläutert: „Visuelle Informationen können durchaus schockieren, aber sie verletzen nicht. Es stellt sich keine Betroffenheit ein. Dem „studium“ fehlt jede Heftigkeit. Es bringt keine Intensitäten hervor.“ Die ihm zugrunde liegende Wahrnehmung ist extensiv, additiv und kumulativ. Das „studium“ ist eine Lektüre. Ihm fehlt jede Magie. Das zweite Element der Fotografie heißt „punctum“.

Es unterbricht das „studium“. Etwas „schießt wie ein Pfeil aus seinem Zusammenhang hervor, um mich zu durchbohren.“ Byung-Chul Han stellt fest: „Das „punctum“ zerreißt das Kontinuum aus Informationen. Es ist ein Ort höchster Intensität und Verdichtung, dem etwas Undefinierbares innewohnt, das sich jeder Repräsentation entzieht.“ Die Unfähigkeit, etwas zu benennen, ist ein sicheres Zeichen für innere Unruhe. Die Wirkung ist da, doch lässt sie sich nicht orten, sie findet weder ihr Zeichen noch ihren Namen. Quelle: „Undinge“ von Byung-Chul Han

Von Hans Klumbies