Die Ideologen des Internets sind antielitär

Mit der Sorge um das Schicksal der Individualität in der gegenwärtigen Kultur setzt man sich vermutlich dem Verdacht aus, altmodisch zu sein. Denn heutzutage sind nicht wenige Menschen von der „Weisheit der vielen“ und der „Schwarmintelligenz“ fasziniert. Man suggeriert ihnen, das Internet bringe eine überlegene globale Intelligenz hervor. Matthew B. Crawford erklärt: „Dieser kollektive Verstand ist „meta“. Er ist synoptischer und synthetischer als jeder von uns.“ Natürlich passt all diese Liebe zur Crowd sehr schön zur Abneigung des Silicon Valley gegen das Konzept des geistigen Eigentums. Und zu der Tatsache, dass man mit der Anhäufung von Inhalten viel mehr Geld verdienen kann als mit der Produktion dieser Inhalte. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

Im Internet soll die Spur der Menschen beseitigt werden

Der amerikanische Informatiker Jaron Lanier kritisiert einen „digitalen Maoismus“ und neuen „Online-Kollektivismus“. Dieser kommt zum Beispiel in der Einschätzung und Nutzung von Wikipedia zum Ausdruck. Und er entspricht dem Geist von Firmen wie Google. Die Analogie zum Maoismus ist für Matthew B. Crawford durchaus zutreffend und präzise: „Die Ideologen des Internets sind seit jeher antielitär. Ihr Ziel ist es, die „Hüter“ des Wissens auf den Kehrichthaufen der Geschichte zu befördern.“ Jaron Lanier schrieb im Jahr 2006, in den vergangenen ein, zwei Jahren sei es der Trend gewesen, „die Spur der Menschen zu beseitigen. Um damit möglichst den Eindruck zu erzeugen, aus dem Internet tauchten dort erzeugte Inhalte hervor. So als würde ein übernatürliches Orakel zu uns sprechen.“

Jaron Lanier bezog sich auf „Konsenswebfilter“, die Material von anderen Websites sammeln, die ihrerseits Aggregatoren sind. Der Internetexperte erklärt, diese Entwicklungen sind nicht auf die Online-Kultur beschränkt. Die Aufwertung des Kollektivs durch den Fetisch der Aggregation (Zusammenfassung mehrerer Einzelgrößen hinsichtlich eines gleichartigen Merkmals, um Zusammenhänge zu gewinnen) „hat wesentlichen Einfluss darauf, wie man in Amerika Entscheidungen fällt“, sei es in Regierungsbehörden, Konzernzentralen oder Universitäten.

Viele Menschen fürchten sich etwas Falsches zu sagen

Jaron Lanier glaubt, es gebe institutionelle Gründe dafür, dass der Kollektivismus auf große Organisationen beträchtlichen Reiz ausübt: „Wenn das Prinzip richtig ist, sollte vom Einzelnen nicht verlangt werden, Risiken einzugehen der Verantwortung zu übernehmen.“ Das ist besonders verlockend, weil „wir in Zeiten erheblicher Ungewissheit und verbreiteter Angst davor, in Haftung genommen zu werden, leben. Und wir müssen in Institutionen arbeiten, die keine Loyalität gegenüber einem Mitarbeiter kennen.“

Jaron Lanier fährt fort: „Ein Mensch, der sich davor fürchtet, in seiner Firma etwas Falsches zu sagen, ist eher aus der Schusslinie, wenn er sich hinter einer Wiki oder einem Aggregationsritual verstecken kann.“ Jaron Lanier nahm selbst an solchen Ritualen teil. Dabei beobachtete er „einen Verlust an Erkenntnis und Subtilität. Und eine Missachtung gegenüber Meinungsnuancen und eine zunehmende Tendenz, die offiziellen oder normativen Überzeugungen einer Institution zum Dogma zu erheben.“ Quelle: „Die Wiedergewinnung des Wirklichen“ von Matthew B. Crawford

Von Hans Klumbies