Gemeinschaft bedeutet für Aristoteles immer eine Vielheit, eine Pluralität. Die Polis ist für ihn eine Gesellschaft der vielen freien Bürger, die gleichberechtigt sind und die Gemeinschaft des Stadtstaates begründen. Der Philosoph definiert den Menschen als ein Wesen, das auf die Gemeinschaft der Polis hin angelegt ist. Der Mensch ist für ihn auf der einen Seite an die Gesellschaft der Mitmenschen gebunden, auf der anderen Seite ist die Gemeinschaft auf jeden einzelnen freien Menschen angewiesen, da sie sich aus der Vielzahl der Individuen zusammensetzt. Aristoteles gliedert die Gesellschaft aufsteigend von der kleineren zur größeren Gemeinschaft.
Nur der Herr des Hauses trifft die Entscheidungen
Die Gliederung beginnt beim Haus und der Familie, führt weiter über das Dorf, gelangt zur Polis, erreicht den Staat und umfasst schließlich die ganze Welt. Innerhalb des Hauses existieren für den Philosophen drei bedeutende Ungleichheiten: erstens das Verhältnis des Vaters zu den Kindern, zweitens bei der Verbindung von Ehemann zur Ehefrau und drittens die Beziehung zwischen Herrn und Sklaven.
Der Herr des Hauses ist der alleinige Inhaber der Macht. Ihm kommt es zu, zu allen Zeiten zu befehlen, aber er trägt auch die Verantwortung für den Hausverband. Die Frauen sollen zwar mit beraten, entscheiden dürfen sie aber nicht, sondern nur der Herr des Hauses. Die Sklaven gehören zum Haus. Aristoteles betrachtet sie als Sklaven von Natur aus, die von der Beratung und Entscheidung, ebenso wie die Kinder, für alle Zeit ausgeschlossen waren.
Ein guter Mensch ist nicht identisch mit einem guten Staatsbürger
Bei den Bewohnern der Polis unterscheidet Aristoteles zwischen Vollbürgern, Halbbürgern und Fremden. Nur dem Vollbürger kommen alle Rechte zu, während den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft die Rechte der Mitbestimmung verwehrt sind. Die Halbbürger müssen für den Staat arbeiten und ihre Pflichten gegenüber der Gesellschaft erfüllen. Die Fremden haben keinerlei Rechte, aber auch keinerlei Pflichten. Aristoteles weist darauf hin, dass ein guter Mensch nicht unbedingt ein guter Staatsbürger sein muss.
Wer beispielsweise zwei Monate vor der Machergreifung der Nationalsozialisten ein guter Staatsbürger war, konnte dies im Juli 1933 nicht mehr sein, denn das Deutsche Reich hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon in einen Unrechtsstaat verwandelt. Ein Mensch mit einem hochwertigen Charakter und verantwortlichen Gesinnung musste in dieser Phase ein schlechter Staatsbürger sein, da er sich nicht in das Willkürsystem der Nationalsozialisten einbinden lassen konnte.
Der Staatstaat entsteht durch die Gleichberechtigung der Vollbürger
Nur der Vollbürger kann am Gericht und der Regierung teilhaben. Jeder Bürger ist dem anderen an Rechten und Pflichten gleich, das heißt, er kann auf der einen Seite befehlen, muss aber auch Befehle entgegennehmen. Die Gleichheit der Bürger begründet den Stadtstaat. Das ist der entscheidende Unterschied zum Haus, wo der Herr der alleinige Gebieter ist.
Die Gemeinschaft, die sich aus den einzelnen vielen Freien zusammensetzt, hat für diese und für die Ungleichen zu sorgen. Durch die politische Fürsorge wird die Gesellschaft zum Staat, der nicht nur Befehle erteilen darf, sondern auch seiner sozialen Fürsorgepflicht nachkommen muss.
Von Hans Klumbies
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