Die eine Wahrheit gibt es nicht

Richard Rorty weist einen Gedanken zurück, nämlich den Gedanken der Annäherung an die eine Wahrheit. Anstatt geltend zu machen, dass die Realität eine und die Wahrheit Übereinstimmung mit dieser Realität ist, behaupten die Anhänger von Charles Sanders Peirce, dass die Idee der Annäherung in die Voraussetzungen des Diskurses eingebaut sind. Sie alle sind einhellig der Meinung, dass der Hauptgrund, weshalb die Vernunft nicht naturalisiert werden kann, darin liegt, dass die Vernunft normativ ist und Normen nicht naturalisiert werden können. Allerdings kann man, wie sie sagen, dem Normativen Platz schaffen, ohne zu der herkömmlichen Vorstellung von einer Pflicht zurückzukehren, die dem intrinsischen Wesen der einen Realität entsprechen soll. Richard Rorty (1931 – 2007) war einer der bedeutendsten Philosophen seiner Generation. Zuletzt lehrte er Vergleichende Literaturwissenschaft an der Stanford University.

Jürgen Habermas stellt die Theorie des „transzendierenden Moments“ auf

Das gelingt, indem man auf den universalistischen Charakter der idealisierenden Voraussetzungen des Diskurses achtet. Richard Rorty erklärt: „Diese Strategie hat den Vorteil, dass sie metaphysische Fragen darüber beiseitelässt, ob es eine moralische Realität gibt, der unsere moralischen Urteile ebenso entsprechen könnten, wie unsere Physik mutmaßlich der physischen Realität entspricht.“ Jürgen Habermas schreibt, jeder Geltungsanspruch habe zusätzlich zu seiner strategischen Rolle im Rahmen einer kontextgebundenen Diskussion „ein transzendierendes Moment allgemeiner Geltung, das alle Provinzialität sprengt“.

Das Einzige, was nach der Anschauung von Richard Rorty an dieser Idee zutrifft, liegt darin, dass viele Geltungsansprüche von Leuten erhoben werden, die dazu bereit wären, ihre Ansprüche auch vor anderen Hörern zu verteidigen als denen, die sie derzeit ansprechen. Doch die Bereitschaft, sich neuen und unbekannten Hörern zu stellen, ist etwas völlig anderes als die Sprengung der Provinzialität. Die Theorie von Jürgen Habermas des „transzendierenden Moments“ scheint Richard Rorty die empfehlenswerte Bereitschaft zum Ausprobieren neuer Dinge mit leerer Prahlerei zu verquicken.

Man kann sich nicht mit Erfolg gegen alle Angreifer verteidigen

Wer etwa sagt: „Ich versuche das gegen alle Angreifer zu verteidigen“, vertritt damit häufig – je nach Umständen – eine löbliche Einstellung. Doch wenn man sagt: „Ich kann das mit Erfolg gegen alle Angreifer verteidigen“, ist das nicht nur töricht. Richard Rorty stellt fest: „Vielleicht stimmt es ja, aber man ist zu dieser Behauptung ebenso wenig berechtigt, wie der Gewinner der Dorfmeisterschaft es für sich in Anspruch nehmen kann, er könne den Weltmeister schlagen.“

Die einzige Situation, in der man zu einer Äußerung der zweiten Art berechtigt wäre, ist eine, in der man sich im Voraus über die Regeln des Spiels der argumentativen Auseinandersetzung einig ist – wie beispielsweise im Fall der „normalen“ im Gegensatz zur „revolutionären“ Mathematik. Richard Rorty fügt hinzu: „In den meisten Fällen jedoch, zu denen auch die moralischen und politischen Ansprüche gehören, an denen Jürgen Habermas besonders gelegen ist, gibt es gar keine derartigen Regeln.“ Quelle: „Pragmatismus als Antiautoritarismus“ von Richard Rorty

Von Hans Klumbies