Die eheliche Liebe ist kaum mehr als „eine zweifache Selbstsucht“

Die französische Schriftstellerin und Feministin Claire Démar schreibt Anfang des 18. Jahrhunderts: „Wenn die Ehe ungleich sei, dann sei sie auch nicht gemäß dem spirituellen und libidinösen Charakter der Menschen ausgerichtet, die von ihrem Schöpfer keineswegs für dauerhafte Vereinigungen geschaffen seien. Das ganze Arsenal der Emotionen und sittlichen Werte im Umfeld der Ehe sei die Frucht dieses Missverhältnisses zwischen Kultur und Natur.“ Die eheliche Liebe sei kaum mehr als „eine zweifache Selbstsucht“. Christopher Clark ergänzt: „Die Eifersucht, die viele Ehen vergiftet, entsteht aus einem abstoßenden Gefühl des Egoismus und der Persönlichkeit heraus.“ „Treue“, so Claire Démar, „hat so gut wie immer ausschließlich auf Angst und der Unfähigkeit basiert, es besser oder anders zu machen!“ Christopher Clark lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine’s College in Cambridge. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte Preußens.

Die Frauen der Zukunft werden aus freien Stücken Vereinigungen eingehen

Die Erwartung der Beständigkeit von Frauen, die in der bürgerlichen Gesellschaft mit großer Strenge polizeilich verfolgt werde, sein eine Form der Sklaverei: „Erst durch das Gesetz der Unbeständigkeit werden Frauen endlich befreit werden.“ Christopher Clark fügt hinzu: „In einer künftigen, auf sexueller Gleichheit gegründeten Gesellschaft werden Männer und Frauen unter radikal anderen Vorzeichen miteinander einen Bund schließen.“ Die Vereinigung der Geschlechter würde auf „den breitesten und bewährtesten Sympathien“ basieren, die durch „eine mehr oder weniger lange Phase des versuchsweisen Zusammenlebens“ zu erproben seien.

Christopher Clark erklärt: „Die neuen Frauen der Zukunft werden aus freien Stücken Vereinigungen von unbestimmter Dauer eingehen und sei beenden, wann immer es ihnen geboten scheint.“ Im Lauf dieser Neuausrichtung der sexuellen Beziehungen werde die „Sicherheit“ und „Anmaßung“ der patriarchalen Ordnung einem neuen Glaubenssystem Platz machen, das von „Erforschung“ und „Mysterium“ getrieben sei. Und die Konsequenz wäre, stellte Claire Démar fest, eine Revolution, aber eine viel tiefere und länger anhaltende als die seichten Erschütterungen vom Juli 1830.

Die Gleichstellung der Frauen mit Sklaverei war keineswegs neu

Claire Démar schreibt: „Weil die Revolution in den ehelichen Sitten nicht an der Ecke zweier Straßen auf dem öffentlichen Platz innerhalb von drei Tagen schönsten Sonnenscheins ereignet, sondern zu jeder Stunde, an allen Orten, in den Logen der Oper, auf winterlichen Zusammenkünften und sommerlichen Promenaden, während der langen Nächte … abspielt.“ Christopher Clark stellt fest: „Aus diesen Veränderungen heraus wird sich ein allumfassender Prozess der Emanzipation entfalten, regte Claire Démar an, auch wenn sie vage blieb, wie die Kausalkette genau funktionieren kann.“

„Die Befreiung der Proletarier, der ärmsten und zahlreichsten Klasse“, schrieb Claire Démar, „ist nur über die Befreiung unseres Geschlechts möglich.“ Langfristig würden die Konsequenzen „die Emanzipation aller, der Sklaven, Proletarier und Kinder, großer und kleiner“ umfassen. Christopher Clark betont: „Heute fast zwei Jahrhunderte danach, haben diese Wort nichts von ihrer radialen Schärfe verloren. Die Gleichstellung der gesetzlichen und gesellschaftlichen Minderwertigkeit der Frauen mit Sklaverei war keineswegs neu.“ Quelle: „Frühling der Revolution“ von Christopher Clark

Von Hans Klumbies