Die drei spezifischen Merkmale der Bürgergesellschaft

Der Bürgerstatus markiert für Ralf Dahrendorf eine tief greifende Veränderung der sozialen Dinge, auch wohl einen bemerkenswerten Fortschritt im Sinne der Erweiterung der menschlichen Optionen. Als solcher begründet er allerdings noch nicht die Art von Gesellschaft, in der die Freiheit verankert ist. Ralf Dahrendorf schreibt: „Er ist ein Element der Bürgergesellschaft, doch verlangt diese andere, subtilere Bedingungen.“ Bei der Bürgergesellschaft geht es um das schöpferische Chaos der vielen, vor dem Zugriff des Staates geschützten Organisationen und Institutionen. Die Bürgergesellschaft als Medium der Freiheit hat für Ralf Dahrendorf drei spezifische Merkmale.

Zivilcourage und Bürgerstolz sind die Tugenden der Bürgergesellschaft

Ein erstes wichtiges Merkmal der Bürgergesellschaft ist nach Ralf Dahrendorf die Vielfalt der Elemente. Es gibt eine Fülle von Institutionen und Organisationen, in denen Menschen Dimensionen ihrer Lebensinteressen verwirklichen können. Ein zweiter bedeutender Bestandteil der Bürgergesellschaft ist die Autonomie der vielen Organisationen und Institutionen. Ralf Dahrendorf erklärt: „Dabei ist unter Autonomie vor allem die Unabhängigkeit von einem Machtzentrum zu verstehen. Wo die Gemeindeautonomie ernst genommen wird, kann die kommunale Selbstverwaltung zum Teil der bürgerlichen Gesellschaft werden.“

Ein dritter wesentlicher Faktor von Bürgergesellschaften hat mit dem menschlichen Verhalten zu tun. Ralf Dahrendorf schreibt: „Hier begegnen wir der anderen, persönlichen Seite des Bürgerstatus, also dem Bürgersinn. Der Bürger in diesem Sinn fragt nicht, was andere, insbesondere der Staat, für ihn tun können, sondern tut selbst etwas.“ Bürgerstolz und Zivilcourage beschreiben die Tugenden der Mitglieder einer Bürgergesellschaft. Für Ralf Dahrendorf liegt es deshalb auf der Hand, dass Bürgergesellschaften allen diktatorischen Machtansprüchen ein Dorn im Auge sind.

Der Staat darf sich in breite Bereiche des Lebens der Menschen nicht einmischen

Diktatoren hassen nach Ralf Dahrendorf nichts so sehr wie eine Bürgergesellschaft, die sich ihren Anmaßungen widersetzt. Er schreibt: „Die Etablierung der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland war vor allem ein Kampf gegen die Elemente der Bürgergesellschaft.“ Das heiß umgekehrt, dass Bürgergesellschaften die vielleicht einzige Quelle der wirksamen Opposition gegen autoritäre und totalitäre Herrscher bilden. Dennoch darf man laut Ralf Dahrendorf nicht das Verhältnis von Bürgergesellschaft und Diktatur mit dem Verhältnis von Gesellschaft und Staat gleichsetzen.

Für John Locke gehörten civil government und civil society zusammen. Wo die Verfassung der Freiheit herrscht, war für ihn die Bürgergesellschaft das normale Lebensmedium der Menschen. Für Ralf Dahrendorf heißt Freiheit allerdings auch, dass der Staat breite Bereiche des Lebens der Menschen allein lässt, so dass diese sich weder für noch gegen dessen Institutionen entscheiden müssen, um am Ende gemeinsam mit diesen und mit der Marktwirtschaft ihre Lebenschancen zu erhöhen.

Von Hans Klumbies