Die Denksucht operiert nach Art eines Diktators

Wie jede Sucht operiert auch die Denksucht nach Art eines Diktators. Rebekka Reinhard erläutert: „Sie zwingt Ihr Gehirn in eine Montur der Gleichförmigkeit und programmiert es darauf, möglichst fantasielos zu denken, alles schon vorwegzunehmen, bei allem recht haben zu müssen und vor Dauerdenken halb wahnsinnig zu werden.“ Der Stoff, der überall verfügbar ist, hat krasse Begleiterscheinungen: Egoismus. Selbstgerechtigkeit. Seelische Versteifung. Betroffene hören auf, um die Ecke zu denken, zu zweifeln, zuzuhören. Sie kleben an gleichförmigen, vorhersehbaren kognitiven Abläufen – doch die Angst ist immer noch da. Und mit ihr die Unfreiheit. Das Gehirn reduziert die vielen Möglichkeiten, sich als Mensch in einer unsicheren Welt zu behaupten und das zu tun, was man eigentlich tun will, von vornherein auf zwei Alternativen. Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.

Man sollte sich nicht auf das schnelle Glück verlassen

Entweder „Problem“ oder „Lösung“, entweder „Glück“ oder „Unglück“, entweder „Gut“ oder „Schlecht“, entweder „Fortschritt“ oder Rückschritt. Man denkt im Kreis. Rebekka Reinhard weiß: „So werden Sie immer blinder für die Vielfalt der Welt und den Reichtum menschlichen Lebens. Sie sehen immer weniger, es wird immer dunkler, und Sie halten die Dunkelheit für Licht.“ In fortgeschrittenem Streaming-Stadium mehr sich im Inneren das Gefühl, trotz aller rationaler Kontrolle rastlos und unlebendig zu sein.

Subjektiv ist man zu hundert Prozent überzeugt, an irgendeinem Mangel zu leiden. Das gilt nicht nur, wenn man jeden Pfenning umdrehen muss. Es gilt auch in jeder Situation in der man sich auf das schnelle Glück verlassen hat – ein Glück, das schnell kommt, aber auch schnell wieder geht, weil es ständig von widrigen Umständen, Gedanken, Gefühlen gestört wird. Desto mehr man kognitiv streamt, desto mehr dreht man sich im Kreis. Rebekka Reinhard ergänzt: „Das System des Dauerdenkens läuft wie am Schnürchen, der Diktator lacht sich ins Fäustchen.“

Rebekka Reinhard nennt das Dauerdenken kognitives Streaming

Er hat sein Opfer wieder einmal vom Jetzt abgelenkt. Das ist der Augenblick in dem man mehr sein könnte, als nur einer merkwürdigen Logik ergeben. Rebekka Reinhard fügt hinzu: „In dem Sie das sind, was Sie eigentlich sein wollen: Frei. Neugierig. Offen. Lernend. Ein Mensch mit Haltung, Hirn und Herz.“ Das Dauerdenken, das Rebekka Reinhard kognitives Streaming nennt, ist nicht gleichbedeutend mit der Vielfalt des menschlichen Denkens. Denken an sich ist sehr wichtig.

Es kommt allerdings auf das Wie und das Was an, Quantität und Qualität. Rebekka Reinhard erklärt: „Effizientes Denken zum Beispiel ist etwas völlig anderes als philosophisches Denken. Effizientes Denken kann sich keine Zweifel erlauben, es muss schnell sein.“ Zwar kann man „effizient“ über ethische Fragen nachdenken, die Antworten darauf werden aber eher oberflächlich sein. Wenn man sich auf philosophische Weise über das Gute Gedanken macht, merkt man, wie der Druck des „Ich muss“ von einem abfällt. Quelle: „Die Kunst gut zu sein“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies