Die Aufklärung fordert einen mündigen Menschen

Paul Kirchhof schreibt: „Die Aufklärung bündelt eine Entwicklung, die in den humanistischen Idealen von Einzelpersönlichkeit und Menschlichkeit, im wissenschaftlichen Weltbild der frühen Neuzeit ihre Wurzeln hat.“ Die Menschen emanzipieren sich von der traditionellen Kirchlichkeit. Sie suchen die Eigenständigkeit der Städte und eines Bürgertums und folgen einem wachsenden Fortschrittsglauben. Die Aufklärung erklärt die bisherigen Menschen für selbstverschuldet unmündig und führt ihn aus seinem Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ ist der Wahlspruch der Aufklärung. Dr. jur. Paul Kirchhof ist Seniorprofessor distinctus für Staats- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg. Als Richter des Bundesverfassungsgerichts hat er an zahlreichen, für die Entwicklung der Rechtskultur der Bundesrepublik Deutschland wesentlichen Entscheidungen mitgewirkt.

Die Aufklärung verzichtet auf Rückschau und Erneuerung

Dieser Leitgedanke stützt sich auf Horaz: „Sapere aude.“ Er klingt schon in Zeiten der Lehensherrschaft deutlich an und wird von Thomas von Aquin neu entfaltet. Der aufgeklärte Mensch sieht sich weniger in der Geschichte gebunden. Sondern er ordnet sich die Geschichte nach der Logik seiner zielbestimmten Vernunft unter. Die Aufklärung verzichtet auf Motive der Rückbesinnung und Erneuerung. Sie grenzt sich bewusst von allen bisherigen Staats- und Gesellschaftsformen ab. Sie sucht die Zäsur eines vernunftbestimmten Neuanfangs.

Adam Smith findet die Maßstäbe für das moralische Verhalten der Menschen, das richtige Urteilen und tugendhafte Handeln in der Natur des Menschen. Er sieht die Grundlagen moralischen Lebens in der Fähigkeit des Menschen, „an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen und im Bemühen um gegenseitige Wertschätzung dem anderen zu begegnen“. Paul Kirchhof ergänzt: „Die Gesellschaft wird für den Einzelnen zum Spiegel der eigenen Individualität. Sein Verhalten sucht und erfährt eine Anerkennung und Wertung durch andere Menschen.“

Der Mensch ist auf Gemeinschaft angelegt

So entwickelt der kultivierte, sein Antriebe ausbalancierende Mensch seine Persönlichkeit. Es entsteht in ihm eine tiefverwurzeltes Gefühl für die Gerechtigkeit und ein Maßstab, wonach der Mensch sich nicht nur an der eigenen Besserstellung erfreut. Sondern er findet auch Gefallen daran, dass es den anderen gut geht. Der Mensch ist auf Gemeinschaft und Kooperation, auf gesellschaftliche Harmonie angelegt. Arbeitsteilung und Tausch sind urmenschliche Neigungen, um Probleme zu lösen.

Die Auseinandersetzung der Aufklärer mit der zeitgenössischen Ständeordnung des Feudalismus bestimmt wesentlich das Freiheitsdenken. Problem und Reformauftrag ist die Ungleichheit der Menschen. Jean-Jacques Rousseau entwickelt eine Naturgeschichte der Menschheit, die zur stetigen Vervollkommnung fähig sei, aber auch die Gefahr des Verfalls in sich berge. Die Menschen seien gleich in der Fähigkeit, sich zu vervollkommnen, in der sozialen Wirklichkeit jedoch ungleich. Daraus folgt der Auftrag zur intellektuellen und sozialen Angleichung. Aus der Vernunft des Einzelnen wächst der Mut zur sozialen Erneuerung. Quelle: „Beherzte Freiheit“ von Paul Kirchhof

Von Hans Klumbies

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