Die Artenvielfalt ist unfassbar groß

Ganz besondere Bedeutung gewinnen die multistabilen, robusten Netzwerke in der Ökologie. Dirk Brockmann erläutert: „Egal welches Ökosystem auf der Erde man sich anschaut, im Amazonas, in Sibirien, in der Tiefsee, am Great Barrier Reef, in der Wüste, im Wattenmeer oder im Grunewald bei Berlin: In jedem System koexistieren viele Millionen Arten, die aufeinander Einfluss haben.“ Die Artenvielfalt ist unfassbar groß. Bis vor Kurzem hat man geschätzt, dass auf der Erde etwa 80.000 Wirbeltierarten existieren, etwa sieben Millionen Wirbellose, davon fünf Millionen Insektenarten, etwa 400.000 Pflanzenarten, 1,5 Millionen Pilzspezies. Bezieht man aber mikrobielle Organismen, also Bakterien und Archaeen, mit ein, kommen neueste Studien auf mehr als eine Billion Arten. Der Komplexitätswissenschaftler Dirk Brockmann ist Professor am Institut für Biologie der Berliner Humboldt-Universität.

In Ökosystemen sind die Arten auf komplexe Weise miteinander vernetzt

Das, was Menschen im täglichen Dasein wahrnehmen können – Pflanzen, Tiere, Pilze, wenn sie durch den Wald spazieren –, ist ein verschwindend geringer Teil der gesamten Artenvielfalt. Die Vielfalt unter den Mikroben ist hunderttausendfach größer als das, was Menschen sehen. Dirk Brockmann nennt Beispiele: „Allein in Ihrem Verdauungssystem leben 5.700 Bakterienarten, auf Ihrer Haut etwa 1.000 und in Ihrem Mund und Rachen sind es rund 1.500 Arten.“

In Ökosystemen sind all diese Arten auf komplexe Weise miteinander vernetzt, nehmen Einfluss aufeinander. Manche ernähren andere, die ihrerseits wieder andere als Nahrung nutzen, Pilzspezies kooperieren in Symbiosen mit Pflanzen, Arten konkurrieren um Ressourcen. Dirk Brockmann ergänzt: „Die Beziehungen zwischen verschiedenen Arten werden oft als Nahrungskette visualisiert, wobei das englische Wort „foodweb“ den Netzwerkcharakter der Beziehungen in Ökosystemen besser beschreibt. Allerdings zeigen die geläufigen Darstellungen typischerweise nur Arten, wie wir sehen können.“

Bei der Homöostase ist alles in Bewegung und dennoch im Gleichgewicht

Die Mikroben werden oft vernachlässigt. Die ökologischen Netzwerke bilden als Gesamtsystem ein dynamisches Gleichgewicht, das man auch Homöostase nennt: Alles ist in Bewegung und dennoch im Gleichgewicht. Dirk Brockmann erklärt: „Ein gesundes Ökosystem ist so wie ein Genregulationsnetzwerk ungeheuer stabil gegenüber äußeren Einflüssen, zum Beispiel klimatischen Veränderungen oder zufälligen Störungen.“ Es kommt mit Jahreszeiten klar, Unwettern und zu einem fast unglaublichen Grad mit uns, also der Spezies Mensch.

Betrachtet man den Umgang der Menschen mit der Natur, ist es geradezu verwunderlich, dass Ökosysteme nicht reihenweise kollabieren. Dirk Brockmann weiß: „Ein Bespiel: Als die Menschheit von Afrika aus vor 100.000 Jahren die gesamte Welt nach und nach besiedelte, rottete sie überall, wo sie hinkam, in kürzester Zeit die Megafauna aus. So verschwanden in Nordamerika vor etwa 12.000 Jahren Wollhaarmammuts, Säbelzahnkatzen, Kamele, amerikanische Löwen, in Südamerika Riesenfaultiere und Riesengürteltiere.“ Dennoch sind diese Ökosysteme nicht kollabiert. Quelle: „Im Wald vor lauter Bäumen“ von Dirk Brockmann

Von Hans Klumbies