Die Zeit scheint gekommen für einen Überblick über die Rolle der Unwissenheit – einschließlich des bewussten Ignorierens – in der Vergangenheit. Peter Burke ist zu der Ansicht gelangt, dass diese Rolle bisher unterschätzt worden ist, was zu Missverständnissen, Fehlurteilen und anderen Arten von Fehlern geführt hat, oft mit schlimmen Folgen. Das wird besonders zum jetzigen Zeitpunkt deutlich, da die Regierungen zu wenig und zu spät auf den Klimawandel reagieren. In seinem neuen Buch „Die kürzeste Weltgeschichte der Unwissenheit“ zeigt Peter Burke, sind sowohl die Arten von Unwissenheit wie auch die daraus folgenden Katastrophen zahlreich und vielfältig sind. Sechzehn Jahre lehrte Peter Burke an der School of European Studies der University of Sussex. Im Jahr 1978 wechselte er als Professor für Kulturgeschichte nach Cambridge ans Emmanuel College und ist inzwischen emeritiert.
Peter Burke erforscht das Verhältnis von Macht und Unwissenheit
Peter Burke konzentriert sich in seinem neuen Werk wie in seinen früheren Studien über das Wissen, auf Europa und Nordamerika in den letzten 500 Jahren, nennt aber zusätzlich eine Reihe von Beispielen aus Asien und Afrika. Über Unwissenheit ist viel geschrieben worden, meist negativ. Es gibt eine lange Tradition, Unwissenheit aus verschiedenen Ursachen und Gründen anzuprangern. In der Aufklärung zum Beispiel wurde Unwissenheit als Stütze des Despotismus, Fanatismus und Aberglaubens angeführt, die in einem Zeitalter des Wissens und der Vernunft allesamt hinweggefegt würden.
Kapitel 11 handelt von der Unwissenheit in der Politik, denn es ist erhellend, das Verhältnis von Macht und Unwissenheit zu erforschen. Peter Burke bespricht die drei Hauptformen politischer Unwissenheit. Erstens die Unwissenheit des Volkes, zweitens die Unwissenheit der Herrscher und drittens die Organisations-Unwissenheit. Die Folgen dieser drei Arten von Unwissenheit sind oft unbeabsichtigt, unvorhersehbar und nicht selten katastrophal. Die Unwissenheit der Bevölkerung ist ein Vorteil für autoritäre Regime, aber ein Grund zur Sorge für Demokratien.
Neues Wissen bringt zwangsläufig neue Unwissenheit hervor
Im vorletzten Kapitel geht es um die Unkenntnis der Vergangenheit in drei verschiedenen Gruppen. Erstens die Historiker, die nie so viel über die Vergangenheit wissen, wie sie gern wissen würden. Zweitens die breite Öffentlichkeit, deren Unwissenheit, ebenso wie die Unwissenheit der Wähler, erst kürzlich wieder in einer Reihe von Umfragen nachgewiesen wurde. Drittens, und am wichtigsten, die Unwissenheit der Entscheidungsträger, die es häufig versäumen, von ihren Vorgängern zu lernen. Da sie die Vergangenheit nicht kennen, machen sie die gleichen Fehler erneut.
Im vorliegenden Buch argumentiert Peter Burke, dass das Aufkommen von neuem Wissen im Laufe der Jahrhunderte zwangsläufig mit dem Entstehen von neuer Unwissenheit einherging. Die Menschheit weiß heutzutage insgesamt mehr als je zuvor, aber jeder Einzelne weiß nicht mehr als seine Vorgänger. Peter Burke rät: „Wir sollten es uns immer gut überlegen, bevor wir ein Individuum, eine Kultur oder eine Epoche als unwissend bezeichnen, denn es gibt einfach zu viel zu wissen – eine alte Klage, die aber in unserer Zeit immer mehr an Berechtigung gewinnt.“
Die kürzeste Weltgeschichte der Unwissenheit
Peter Burke
Verlag: Finanzbuch
Gebundene Ausgabe: 432 Seiten, Auflage: 2024
ISBN: 978-3-95972-751-8, 20,00 Euro
Von Hans Klumbies