Vaclav Smil schreibt: „Während der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts – angesichts eines sich verlangsamenden globalen Bevölkerungswachstum und stagnierender oder sogar abnehmender Einwohnerzahlen in vielen wohlhabenden Ländern – dürfte es den Volkswirtschaften nicht schwer fallen, die Nachfrage nach Stahl, Zement, Ammoniak und Kunststoffen zu bewältigen, namentlich wenn man die Recyclingquoten erhöhen kann.“ Sehr unwahrscheinlich ist jedoch, dass sich alle diese Branchen bis 2050 aus ihrer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen befreien und aufhören werden, einen beträchtlichen Beitrag zu den globalen CO2-Emisssionen zu leisten. Die geringste Wahrscheinlichkeit dafür besteht in den einkommensschwachen, auf dem Weg der Modernisierung befindlichen Ländern, deren enormer Nachholbedarf an Infrastrukturen und Konsumgütern starke Steigerungen bei der Versorgung mit den genannten Stoffgruppen nach sich ziehen wird. Vaclav Smil ist Professor Emeritus für Umweltwissenschaften an der University of Manitoba. Er hat unter anderem das Grundlagenwerk „Energy and Civilization“ geschrieben.
Der Materialverbrauch wird sich in den nächsten Jahrzehnten vervielfachen
Würden diese Länder eine Entwicklung ähnlich der durchlaufen, die sich ab 1990 in China vollzogen hat, wäre das mit folgenden Steigerungen verbunden: eine Vervielfachung der Stahlproduktion um den Faktor 15, der Zementproduktion um mehr als den Faktor 10, der Produktion synthetischen Ammoniaks um mehr als das Doppelte und der Produktion synthetischer Kunststoffe um mehr als das Dreißigfache. Vaclav Smil fügt hinzu: „Selbst wenn viele der auf dem Modernisierungspfad befindlichen Länder nur die Hälfte oder sogar nur ein Viertel der materiellen Fortschritte Chinas seit den letzten 30 Jahren schaffen, würden sie immer noch eine Vervielfachung ihres derzeitigen Materialverbrauchs erleben.“
Der Verbrauch fossilen Kohlenstoffs war der Preis – und wird noch für Jahrzehnte der Preis bleiben –, den die Menschheit für die zahllosen Segnungen zahlen, die Stahl, Zement, Ammoniak und Kunststoffe der menschlichen Zivilisation beschert haben. Vaclav Smil stellt fest: „In dem Maß, wie wir die Nutzung erneuerbarer Energien ausbauen, werden wir nicht nur immer größere Mengen an Altstoffen brauchen, sondern auch nie dagewesene Mengen an neu zu beschaffenden Materialien, die zuvor in weit geringeren Größenordnungen benötigt wurden.“
Für die Batterie eines Elektroautos werden rund 40 Tonnen Erze benötigt
Das vielleicht beste Beispiel dafür, wie wir uns in enorme neue stoffliche Abhängigkeiten begeben, liefert das Elektroauto. Vaclav Smil erläutert: „Eine typische Lithiumbatterie für ein Kraftfahrzeug wiegt rund 450 kg und enthält rund 11 kg Lithium, knapp 14 kg Kobalt, 27 kg Nickel, mehr als 40 kg Kupfer und 50 kg Graphit – und zusätzlich noch 181 kg Stahl, Aluminium und Kunststoffe.“ Für die Bereitstellung all dieser Materialien – für die Batterie eines einzelnen Fahrzeugs wohlgemerkt – müssen zuvor rund 40 Tonnen Erze verarbeitet werden.
Wobei angesichts der geringen Konzentration vieler Elemente in den betreffenden Erzen zunächst einmal rund 225 Tonnen an Rohstoff gefördert und eingeschmolzen werden müssen. Vaclav Smil weiß: „Multiplizieren müssten wir dies mit annähernd 100 Millionen Einheiten, denn so viele Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotor werden derzeit pro Jahr fertiggestellt und müssten durch Elektroautos ersetzt werden.“ Verlaufskurven für den künftigen Übergang zur Elektromobilität sind eine Sache, die Bereitstellung neuer Materialien für diese Konversion im globalen Maßstab eine ganz andere. Quelle: „Wie die Welt wirklich funktioniert“ von Vaclav Smil
Von Hans Klumbies