In Deutschland breitet sich das Neobiedermeiertum aus

Dass Deutschland in naher Zukunft Innovationsweltmeister wird, ist so wahrscheinlich wie die Annahme, dass der nächste Fußballweltmeister San Marino heißt. Denn innovative, unternehmerische, risikobereite Menschen, dazu Wissenschaftler, Kreative oder auch nur die sogenannten Querdenker abseits des Massengeschmacks und Stromlinienform haben es in Deutschland schwer. Es herrschen hierzulande Normen und Traditionen, wenn nicht gar retroselige Rückwärtsgewandtheit. Schon der Begriff der Innovation – sprich der Erneuerung – löst bei vielen Deutschen geradezu juckende Allergien aus. Denn die Deutschen leben in einem Land, das die Bereitschaft zur Empörung pflegt. Die Gesellschaft retardiert sich immer mehr und sieht sich vom Burnout bedroht. Ein Neobiedermeiertum übernimmt immer mehr die Vorreiterrolle. Wer in Deutschland Visionen hat, wird nicht befördert oder gefördert, sondern im schlimmsten Fall zum Arzt geschickt.

Johanna Wanka möchte eine „Innovationspolitik aus einem Guss“

Wer hier etwas verändern oder neu gestalten will, gelangt schnell an jene Grenzen, die das Alte, Überkommene schützen und aus der Gesellschaft ein Museum machen wollen. Deutschland ist ein müdes, ja ermattetes Land, das sich mehr um Mütterrenten kümmert, als um Bildung, Wissen und Innovationen. Dagegen dominieren ein Status-quo-Denken und die Absicherung der Pfründe. Forschungsministerin Johanna Wanka hat jetzt deshalb einen Masterplan mit dem Titel „Innovationspolitik aus einem Guss“ vorgestellt.

Der Masterplan konzentriert sich auf sechs Forschungsbereiche, die für den Wohlstand und die Lebensqualität in Deutschland in Zukunft besonders bedeutend sein werden. Johanna Wanka nannte folgende Themen: „Digitale Wirtschaft und Gesellschaft, nachhaltiges Wirtschaften und Energie, innovative Arbeitswelt, gesundes Leben, intelligente Mobilität und zivile Sicherheit.“ Auf diesen Gebieten sollen Unternehmen, Wissenschaftler und andere Beteiligte gefördert werden. Wirtschaft und Wissenschaft, Theorie und Praxis sollen besser kommunizieren und sich stärker vernetzen.

Deutschland ist ein Hort der Fortschrittsfeindlichkeit

In Deutschland sind sie allerdings nicht zu spüren: Die Lust am Fortschritt, die Freude am Morgen, die Sehnsucht nach einer anderen, besseren Welt. Stattdessen hat sich das Land zu einem Oberjammergau der Bedenkenhaftigkeit entwickelt. Deutschland lässt sich schon seit Jahren als überalterter, saturierter, ja querulatorischer Hort der Fortschrittsfeindlichkeit und Zukunftsverweigerung beschreiben. Bei einem Länderranking, bei dem Innovationsleistungen bewertet werden, liegt Deutschland nur auf Platz 13, nur knapp vor Neuseeland.

In einem Länderranking der Wettbewerbsfähigkeit, in dem es um die Dynamik von Firmengründungen geht, liegt Deutschland auf einem beschämenden 106. Platz. Im Bereich Staatsschulden liegt die Bundesrepublik auf Rang 118. Im Gegensatz zu früheren Zeiten ist dem Land die gesamtgesellschaftliche Fähigkeit verloren gegangen, in die Zukunft zu denken. Es fehlt hierzulande an einer entscheidenden Ressource: am Mut. Was noch fehlt sind Aufgeschlossenheit und Verantwortlichkeit. Quelle: Süddeutsche Zeitung

Von Hans Klumbies