Die Künstliche Intelligenz stellt das kapitalistische Selbstverständnis infrage

„Aber wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Friedrich Hölderlins Spruch könnte sich in diesem Fall an der zunehmenden Verweigerung, nur tätig zu sein um des Tätigsein willens, bewahrheiten. Lisz Hirn stellt fest: „Diese zunehmende Verweigerung der jüngeren Generation ist der ultimative Widerstand gegen ein System des endlosen Ver- und Missbrauchens, das zwangsläufig ruhelos und zerstörerisch sein muss.“ Höchstwahrscheinlich wird die künstliche Intelligenz das kapitalistische Selbstverständnis weiter infrage stellen, indem ihre Auswirkungen vielleicht zu einer Revolte gegen sinnlose Arbeit per se oder auch gegen den Wert des Menschen, der sich durch seine Arbeit bemisst, führen. Viele Menschen haben den Zweck der Arbeit aus dem Blick verloren. Lisz Hirn arbeitet als Publizistin und Philosophin in der Jugend- und Erwachsenenbildung, unter anderem am Universitätslehrgang „Philosophische Praxis“.

Vielleicht arbeiten künftig alle nur mehr aus Leidenschaft

Eine Fülle an Arbeitsplätzen haben nicht mehr unmittelbar mit der Produktion und der Befriedigung realer Bedürfnisse zu tun und diese gewinnen im kollektiven Imaginären die Oberhand über die wirklich nützliche Arbeit. Lisz Hirn weiß: „Über Jahrzehnte hat die Schreibtischarbeit die blanke körperliche Arbeit, zu der übrigens auch die Pflege gehört, entwertet.“ Ironischerweise könnte die künstliche Intelligenz eine Umwertung der Arbeitswerte einleiten, vielleicht sogar die Entwertung der Arbeit selbst.

Die Diskussionen rund um ein bedingungsloses Grundeinkommen könnten sich letzten Endes sogar selbst überholen, da neben den manuellen Jobs, die bisher von der Maschine bedroht waren, nun auch intellektuelle Arbeitsplätze von künstlicher Intelligenz ersetzt werden könnten. Lisz Hirn fordert: „Wie künftig Löhne und Selbstwert generiert werden sollen, ist eine Frage, auf die die Politik eine Antwort finden muss.“ Böse formuliert: Vielleicht arbeiten nicht nur die Künstler, sondern auch zukünftig alle anderen nur mehr aus Leidenschaft.

Eine ruhelose Gesellschaft fällt in die Barbarei zurück

Lisz Hirn betont: „Des Menschen Würde weiterhin über seine Arbeit zu garantieren wird also zunehmend ein schwieriges bis aussichtsloses Unterfangen. Was nicht heißt, die Würde müsste gleich ganz verloren gegeben werden.“ Es heißt lediglich, dass man sich den Menschen zukünftig nicht mehr nur als Animal laborans, als arbeitendes Tier, werden vorstellen müssen. Friedrich Nietzsche prognostizierte, dass eine Gesellschaft, die ihre Ruhe verliert, in die Barbarei zurückfällt.

Das 20. Jahrhundert lieferte den Beweis, wie viel Schlagkraft eine entfesselte Aufklärung entwickeln kann und wie viel Zerstörungspotenzial sie in sich trägt. „Arbeit macht frei!“ Der zynische Spruch am Eingangstor zu nationalsozialistischen Konzentrationslagern ist ein Abbild dieser bis an die Absurdität getriebenen Rationalität, freilich noch ohne die digitale Prädestination von heute. Die Sklavenhalter- und Klassengesellschaften von einst könnten in Zukunft lächerlich anmuten, wenn man sie mit den dystopischen vergleicht, die der Transhumanismus in Aussicht stellt. Quelle: „Der überschätzte Mensch“ von Lisz Hirn

Von Hans Klumbies