Während sich die weichen Helden warmtanzen, plustert sich der moderne Herkules immer noch ein wenig auf. Rebekka Reinhard ergänzt: „Doch zwischen Videokonferenzen, Calls und Tischtenniszonen ist der „Mann“ und „Krieger“ auf Turnschuhträger-Dimension geschrumpft.“ Der männliche Vorstand hat keine wilden Tiere am Hals, er trägt höchstens eine Krawatte. Der Manager durchschlägt gordische Knoten nicht mit dem Schwert, er löst sie digital. Der Ur-Held ist zum Projektleiter mutiert. Muss er sich deshalb mit Sexismus abreagiere? Der #MeToo-Zeitgeist will den Schrumpfhelden an die Kette legen wie einen ungezogenen, Feuer speienden Drachen. Plötzlich heißt es gemäß binärer Logik: „Wo Superman war, soll Wonder Woman werden.“ Rebekka Reinhard ist Chefredakteurin des Magazins „human“ über Mensch und KI. Unter anderem ist sie bekannt durch den Podcast „Was sagen Sie dazu?“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wbg.
Gefährlich für das männliche Weltbild wäre erst ein Umdenken
In Filmen wie „Atomic Blonde“ (2017) überwindet die „echte Frau“ ihre Opferrolle, indem sie mit durchtrainierten Muskeln und Brutalität auf „echter Mann“ macht. Die Wut der männlichen Schrumpfhelden über die gefährliche weibliche Konkurrenz ist riesig. Rebekka Reinhard stellt fest: „Sie hindert ihn zu sehen, dass die neue Superheldin bloß ein Spiegel seiner selbst ist. Dass sie also die alte Ordnung weiter fortschreibt. Gefährlich für sein Weltbild wäre erst ein Umdenken.“
Das darf jedoch nicht passieren. Niemals. Also verwendet er seine Kraft darauf, ein ur-heroisches Revival einzuleiten: mit einer Operation namens „Transhumanismus“. Rebekka Reinhard erläutert: „Transhumanisten, das sind Neo- und Hyperhumanisten, die alles auf lebensfördernde Technologien setzen. Mit weichem Heldentum haben sie nichts am Hut.“ Sie weigern sich, achtsam dem Lauf der Welt zu folgen. Sie wollen mehr, viel mehr. Die totale Macht, das ewige Leben. Das Ende jeglicher Gebrechen.
Transhumanisten denken den Menschen von der Zukunft aus
Der Mensch soll durch genetische und kognitive Enhancement-Strategien technologisch optimiert werden. Damit er noch besser, noch schneller, noch länger, noch zielbewusster kämpfen kann. Sämtliche, auch moralische Mängel, will man durch evidenzbasierte Wissenschaft eliminieren. Doch geht die transhumanistische „Trivial-Anthropologie“ von einem menschliche Instinkt zur Selbstoptimierung aus, die man nicht weiter begründen muss. Die Transhumanisten erinnern an die gesellschaftliche Utopie Burrhus Frederic Skinners: Am Ende aller Experimente steht nicht Freiheit, sondern Kontrolle.
Rebekka Reinhard weiß: „Transhumanistische Heroen fragen nicht: Was kann der Mensch? Sie glauben es bereits zu wissen, indem sie den Menschen eschatologisch von der Zukunft aus denken.“ Dabei ist die Frage, was der Mensch kann, eine der kompliziertesten. Immer fordert sie eine Antwort – und stets verweigert sie sich ihr. Den Menschen gibt es mutmaßlich nur im Plural. Der Mensch ist singulär-plural. Er ist so einzigartig wie eine Schachtel Pralinen: Man weiß nie, was man kriegt. Quelle: „Wach denken“ von Rebekka Reinhard
Von Hans Klumbies