Der Staat stellt viele verschiedene öffentliche Güter bereit

Vor allem ab dem 19. Jahrhundert übernahm der Staat zunehmend auch eine soziale Funktion. Marcel Fratzscher erklärt: „So führte Otto von Bismarck eine Rentenversicherung ein, und viele andere Elemente folgten in ganz Europa. Der Staat realisierte, dass Menschen nicht nur in Geldsachen Sicherheit wünschten, sondern auch Absicherung gegen die Unwägbarkeiten des Leben, gegen Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alter.“ Daraus entstand die soziale Marktwirtschaft als Grundlage des Gesellschaftsvertrags in vielen europäischen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Staat stellt dabei viele verschiedene öffentliche Güter bereit. Dazu gehören nicht nur die sozialen Sicherungssysteme, sondern auch Bildung und Fortbildung, die Förderung von Kultur und sozialem Zusammenhalt sowie die internationale Kooperation. Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Gegen existenzielle Krisen kann nur der Staat seine Bürger absichern

Teil dieses Gesellschaftsvertrags ist auch die Absicherung gegen große Krisen, etwa Wirtschafts- und Finanzkrisen oder Naturkatastrophen und Pandemien. Gegen so große Krisen können sich private Gläubiger und Schuldner gegenseitig nicht versichern. Marcel Fratzscher weiß: „Selbst die stärksten und gesündesten Unternehmen wurden durch die Corona-Pandemie – etwa durch Unterbrechung der internationalen Lieferketten oder Nachfrageschocks wie im Tourismus – in die Knie gezwungen und waren auf staatliche Hilfen angewiesen.“

Gegen große, existenzielle Krisen kann nur der Staat seiner Bürger absichern, und auch er nur in begrenzten Maße. Marcel Fratzscher ergänzt: „Dies kann er aber nur, wenn er in solche Situationen große Gelder mobilisiert. Ohne Schuldenaufnahme ist das nicht machbar.“ Der Staat ist also in vielerlei Hinsicht die letzte Instanz; nicht nur im Bezug auf rechtliche und institutionelle Fragen, sondern auch, wenn es um die Absicherung der Lebensgrundlage seiner Bürger geht.

Staatsschulden sind per se schlecht

Marcel Fratzscher erläutert: „Dies sind alles Gründe dafür, warum Staatsschulden nicht per se schlecht sind. Genauso wie die Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger bilden sie mit die Grundlage unserer Demokratie und unser sozialen Marktwirtschaft.“ Sie ermöglichen eine moderne Wirtschaft mi sicheren Finanzmärkten und einer effizienten Intermeditation von Geld und Vermögen zwischen Schuldner und Gläubigern. Genauso wenig, wie Staatsschulden falsch oder schlecht sind, sind sie jedoch immer sinnvoll und richtig.

Allzu häufig werden staatliche Gelder nicht zum Wohle der Allgemeinheit genutzt, sondern um enge Partikularinteressen zu schützen und zu fördern. Marcel Fratzscher stellt fest: „Die Versuchung für Verantwortliche in Politik und Verwaltung ist groß, staatliche Gelder für eigene Interessen und ihren Machterhalt zu nutzen. Und oft in der Geschichte sind Staaten pleitegegangen und haben ihre Schulden nicht zurückgezahlt.“ Aber Staatschulden sind auch keine Alchimie. Es gibt Kriterien dafür, wann, wofür und unter welchen Umständen Schulden ökonomisch, politisch und sozial erforderlich und richtig sind und wann nicht. Quelle: „Geld oder Leben“ von Marcel Fratzscher

Von Hans Klumbies