Der Neoliberalismus misst das Wohlergehen am Konsum

Francis Fukuyama betont: „Als Standard für das wirtschaftliche Wohlergehen ist das Konsumentenwohl auch deshalb problematisch, weil es die nichtmateriellen Aspekte des Wohlergehens nicht zu erfassen vermag.“ Die großen Internetplattformen mögen heute den Konsumenten freie Dienstleistungen anbieten, erhalten aber dabei auch Zugang zu privaten Nutzerdaten. Und dies geschieht in einem Ausmaß, das vielen Verbrauchern gar nicht bewusst sein dürfte und das sie vielleicht auch nicht gutheißen würden. Dieser politischen Frage liegt ein tieferes philosophisches Problem zugrunde: Sind Menschen einfach nur konsumierende Tiere, deren Wohlergehen daran gemessen wird, wieviel sie konsumieren können, oder sind sie produzierende Tiere, deren Glück von ihrer Fähigkeit abhängt, die Natur zu gestalten und sich kreativ zu betätigen? Francis Fukuyama ist einer der bedeutendsten politischen Theoretiker der Gegenwart.

Menschen sind sowohl Konsumenten als auch Produzenten

Der zeitgenössische Neoliberalismus hat sich eindeutig für die erste Variante entschieden. Francis Fukuyama fügt hinzu: „Es gibt aber auch andere Denktraditionen, denen zufolge die Menschen sowohl konsumierende als auch produzierende Tiere sind und das menschliche Glück irgendwo in einer Balance zwischen beiden Aspekten liegt.“ Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel vertrat die Auffassung, die Autonomie des Menschen beruhe in der Arbeit und in seiner Fähigkeit, die vorgegebene Natur umzugestalten.

Das sei es, was dem Sklaven in der modernen Welt Würde verleihe und ihn dem Herrn ebenbürtig mache. Karl Marx übernahm diesen Gedanken von Hegel, als er feststellte, Menschen seien sowohl konsumierende als auch produzierende Tiere. Francis Fukuyama ergänzt: „Kommunistische Gesellschaften neigten dazu, die Produktion höher zu bewerten als die Konsumption, mit negativen Folgen: Sie zeichneten „Held der sozialistischen Arbeit“ aus, konnten aber auf den Ladenregalen nicht genug Nahrungsmittel bereitstellen.“

Die USA haben ihre Kartellgesetze nicht wirklich durchgesetzt

Der Aufstieg des Neoliberalismus ließ das Pendel weit zur anderen Seite hin ausschlagen. Francis Fukuyama erläutert: „Amerikanischen Arbeitern, die ihre Jobs an die weniger teuren Arbeitskräfte im Ausland verloren, wurde erklärt, sie könnten doch jetzt Importwaren aus China billiger einkaufen.“ Nur sehr wenige Menschen würden heutzutage zu einem System zurückkehren wollen, das im Stil des Kommunismus die Produktion höher als die Konsumption bewertet.

Es könnte sich herausstellen, dass dieser Zielkonflikt gar nicht so schwer zu lösen ist, wie manche glauben. Der französische Ökonom Thomas Philippon legt dar, dass die amerikanischen Verbraucherpreise heute im Vergleich zur Situation vor zwei Jahrzehnten im Allgemeinen höher sind als in Europa. Francis Fukuyama stellt fest: „Eben weil es die Vereinigten Staaten versäumt hätten, ihre Kartellgesetze wirklich durchzusetzen, und es somit großen Konzernen ermöglichten, ihren Konkurrenten die Luft abzudrücken.“ Zudem hat die industrielle Konzentration noch weitere negative Auswirkungen. Quelle: „Der Liberalismus und seine Feinde“ von Francis Fukuyama

Von Hans Klumbies