Der Mensch ist direkt vom Wald ins Büro marschiert

Mindestens 300.000 Jahre Entwicklungsgeschichte schleppt Homo sapiens mit sich herum. Bei allen Unterschieden, die man zwischen Menschen und Gruppen finden mag, sind sie im Grunde einander doch sehr ähnlich. Dirk Steffens und Fritz Habekuss stellen fest: „Im Jahr 2008 lebten erstmals mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Städte können effizienter und ressourenschonender sein, grundsätzlich sind sie keine schlechte Idee.“ Aber sie bringen allzu oft „müde, nervöse, überzivilisierte Menschen“ hervor, wie der amerikanische Naturschriftsteller John Muir vor über 100 Jahren festgestellt hat. Das ist nicht verwunderlich. Evolutionshistorisch betrachtet ist der Mensch vom Wald fast direkt ins Büro marschiert. In ihrem Buch „Über Leben“ erzählen der Moderator der Dokumentationsreihe „Terra X“ Dirk Steffens und Fritz Habekuss, der als Redakteur bei der „ZEIT“ arbeitet, von der Vielfalt der Natur und der Schönheit der Erde.

Die Biophilie ist die leidenschaftliche Liebe zum Leben

Computer bedient die Menschheit erst seit einer Generation. Erst seit zwei Generationen sitzen die Menschen mit künstlichem Licht am Schreibtisch. Davor arbeiteten sie fünf Generationen lang in Fabriken und an Fließbändern. Aber 500 Generationen lang bestellten sie Felder und züchteten Tiere. Dirk Steffens und Fritz Habekuss ergänzen: „Und mindestens 50.000 Generationen lang lebten wir in kleinen Familienverbänden in der Natur, ständig unterwegs auf der Suche nach Schutz und Beute.“

Die allermeiste Zeit in der Geschichte waren die Menschen Jäger und Sammler. Eine intelligente Art afrikanischer Primaten. In und mit der Natur haben sich der menschliche Körper und der Geist entwickelt. Diese uralte Nomadenkultur ist die wirkliche Wiege der Menschheit. Dort sind die Gefühle entstanden, welche die Menschen noch heute empfinden und nicht loswerden können. In den 1960er Jahren formulierte der Sozialpsychologe Erich Fromm die Idee der Biophilie als eine „leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen“.

Die menschliche Reaktion auf die Natur ist angeboren

Der amerikanische Biologe E. O. Wilson erweiterte den Begriff und sprach von der „angeborenen emotionalen Bindung von Menschen zu anderen lebenden Organismen“. Menschen fühlen sich am lebendigsten, wenn sie alle ihre Sinne nutzen und mit ihrer Umwelt in Verbindung treten. Wenn sie in der Natur sind, verändern sich ihre Gehirnströme, weniger Stresshormone werden ausgeschüttet, das Herz schlägt langsamer. Die Biophilie-Hypothese geht davon aus, dass die menschliche Reaktion auf die Natur angeboren ist.

Dirk Steffens und Fritz Habekuss wissen: „In unserer wilden Vergangenheit war es ein Überlebensvorteil, der Natur auch emotional verbunden zu sein.“ Wer die Natur intuitiv spüren konnte, fand sich in ihr besser zurecht als seine Artgenossen. Er überlebte eher und konnte mehr Nachwuchs großziehen. Naturliebe wanderte in das menschliche Genom. Biophilie, so argumentiert E. O. Wilson, sei die eigennützige Grundlage für die Pflege und den Schutz von Natur und der Vielfalt des Lebens. Quelle: „Über Leben“ von Dirk Steffens und Fritz Habekuss

Von Hans Klumbies

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