Herfried Münkler schreibt: „Nur an die unvorhergesehene Rückkehr des Krieges nach Europa, und zwar des großen Krieges zwischen Staaten, können und wollen sich die meisten Deutschen nicht gewöhnen: die einen, weil sie nicht wollen, dass ein das Völkerrecht missachtender Krieg erfolgreich ist; die anderen, weil der zwischenstaatliche Krieg die Gefahr einer weiteren, womöglich nuklearen Eskalation in sich trägt und bei seiner Fortdauer eine räumliche Ausweitung zu befürchten ist.“ Einige von ihnen fordern, den Krieg möglichst umgehend durch Verhandlungen zu beenden, andere wollen dies sogar durch die Einstellung der deutschen Waffen- und Munitionslieferungen an die Ukraine erzwingen, wobei sie darauf setzen, dass die Ukraine innerhalb kürzester Zeit kapitulieren müsse. Herfried Münkler ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Berliner Humboldt-Universität. Viele seiner Bücher gelten als Standardwerke, etwa „Imperien“ oder „Die Deutschen und ihre Mythen“.
Der deutsche Pazifismus hat seine Unschuld verloren
Damit hat der deutsche Pazifismus, der in den 1980er Jahren die politische Landschaft geprägt hat, seinen Charakter verändert. Herfried Münkler erklärt: „Er ist keiner mehr der eigenen Friedfertigkeit, die ein Vorbild für andere sein soll, sondern einer, der anderen, in diesem Fall auch noch den Angegriffenen, die Kapitulation aufzwingen will, um seine Ruhe zu haben.“ Abgesehen davon, dass der Pazifismus damit seine moralische Unschuld verloren hat, wird die angestrebte Ruhe in einer vom Widerstreit der Mächte geprägten Welt, einer Welt im Umbruch, nicht mehr zu haben sein.
Bemerkenswert an dieser vor allem in Deutschland geführten Debatte ist nicht nur die emotionale Heftigkeit, mit der sie ausgetragen wird, sondern auch das forcierte Desinteresse der selbsterklärten „Friedensfreunde“ an der deutschen und europäischen Geschichte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Damals begünstigte die Friedenssehnsucht, die in großen Teilen der europäischen Gesellschaft vorhanden war, die Einschüchterungs- und Annexionspolitik Adolf Hitlers, die für den Diktator zur Carte blanche wurde, mit Hilfe der Wehrmacht fast ganz Europa zu unterwerfen.
Die Linken üben Kritik an den Waffenlieferungen für die Ukraine
Herfried Münkler stellt fest: „Heutzutage ist nicht nur die neue Friedenliebe der politischen Rechten bemerkenswert, die de facto eine Parteinahme für die aggressiv-militärische Politik Russlands und seines Oberherren Putin ist.“ Diese unterscheidet sich also nicht grundlegend von der einstigen Unterstützung der Hitlerschen Revisionspolitik durch die Konservativen und Rechten in Deutschland. Dazu kommt die von einigen Linken geübte Kritik an deutschen Waffenlieferungen für die Ukraine.
Dabei handelt es sich um ebenjene Linken, die in der Debatte der 1970er und 1980er Jahre über den Sieg des Faschismus in Europa noch die fehlende militärische Unterstützung des republikanischen Spanien im Abwehrkampf gegen die Putschisten unter General Franco als einen verheerenden Fehler der Franzosen und Briten kritisiert haben, weil sie den die Putschisten unterstützenden Diktatoren Benito Mussolini und Adolf Hitler nicht Paroli geboten haben. Quelle: „Macht im Umbruch“ von Herfried Münkler
Von Hans Klumbies
