Die Ausbeutung im Kapitalismus ist gnadenlos

Die 32. Sonderausgabe des Philosophie Magazins ist Karl Marx gewidmet. Das Heft ist durch vier Fragen gegliedert: Was bewegt die Geschichte? Was ist falsch am Kapitalismus? Was heißt hier Klassenkampf? Was kommt nach dem Kapitalismus? Im Gespräch sagt der Autor Uwe Wittstock über Karl Marx: „In seinem ökonomischen Denken und in seiner Geschichtstheorie hat Marx diesen nun nicht mehr jenseitigen, sondern diesseitigen Sinn gefunden. Innerhalb dieser Theorie stand für ihn fest, dass ein menschenwürdiges Leben erst jenseits des Kapitalismus möglich sein würde. Der Kapitalismus zielt für Marx auf die gnadenlose Ausbeutung von allem und jedem.“ Als Philosoph, Ökonom, Journalist und Aktivist suchte Karl Marx die Gesellschaft zu verstehen und zu verändern. Immer wieder gerät er dabei in Konflikte. Sein Lebenslauf ist geprägt von den politischen Umbrüchen seiner Zeit, sein Denken inspiriert von ihren Großereignissen.

Karl Marx stellt das Materielle ins Zentrum seiner Geschichtsphilosophie

Keine Theorie kommt aus dem Nichts. Die klassischen Ökonomen, allen voran Adam Smith und David Ricardo, legen den Grundstein für die marxistische Wirtschaftstheorie. Konkret übernimmt Karl Marx etwa die Überlegung von Smith, dass Arbeit die Grundlage allen Eigentums ist; wie Ricardo argumentiert er, dass der Wert einer Ware die Arbeit widerspiegelt, die in sie geflossen ist. Zugleich aber kritisiert er die Annahmen, die der klassischen Ökonomie zugrunde liegen. Chefredakteurin Jana Glaese schreibt: „Vor allem krempelt Marx die klassische Ökonomie um, weil der damit letztlich die Selbstzerstörung des Kapitalismus erklären will.“

Anders als Georg Wilhelm Friedrich Hegel stellt Karl Marx das Materielle in den Mittelpunkt seiner Geschichtsphilosophie: Nicht Ideen, sondern ökonomische Verhältnisse und ihre Widersprüche prägen den Lauf der Geschichte. Karl Marx beschreibt den Kapitalismus als ungeheuer dynamische Kraft, die – wie er im „Kommunistischen Manifest“ sagt – „alles Ständische und Stehende verdampft“. Rahel Jaeggi, Professorin für Praktische Philosophie, fügt hinzu: „Gleichzeitig geht sie mit einer Verschärfung von Ausbeutungsverhältnissen und damit mit einer ungeheuren Verarmung des Menschen einher.“

Selbstbestimmung sollte ein vorrangiges Ziel des Lebens sein

Laut Karl Marx ist er die Triebkraft der Geschichte: der Konflikt zwischen Klassen, zwischen Ausgebeuteten und Ausbeutenden, zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Der Klassenkampf offenbart die Widersprüche einer auf Privateigentum basierenden Ordnung. Klassenkämpfe gibt es auch heute. Worin sie bestehen und wer sie austrägt, erklärt der Soziologe Klaus Dörre: „Klassenhandeln ist nicht automatisch progressives Handeln. Was die Produktionsarbeitenden gegenwärtig umtreibt, ist die Furcht vor Statusverlust.“ Eine Form diese Furcht politisch zu verarbeiten, kann sein, dass man eine Partei wählt, die den Klimawandel leugnet und der Braunkohle eine große Zukunft verspricht.

Erklärtes Ziel des Marxismus ist es, das gegenwärtige System zu überwinden. Wer bei Karl Marx konkrete Antworten sucht, wird enttäuscht. Doch so viel ist klar: Der Mensch soll in allen Bereichen des Lebens selbstbestimmter sein. Für die Philosophin Silvia Federici hatte Karl Marx einen blinden Fleck. Er dachte jene Sphären nicht mit, in denen vor allem Frauen tätig sind. Sie sagt: „Ich betrachte die Welt aus der Perspektive der Reproduktion, und aus dieser Sicht können wir erkennen, wie zerstörerisch kapitalistische Technologie für die Umwelt und das menschliche Leben war und ist.“

Von Hans Klumbies