Der Kapitalismus verlangt Agilität und Anpassungsfähigkeit

Eigentlichkeit und Kapitalismus gehen in der Regel nicht zusammen. Sie sind miteinander inkompatibel. Alexander Somek erklärt: „In eine kapitalistischen Gesellschaft erwartet „man“ von uns, dass wir uns als eine agile und anpassungsfähige Humanressource verstehen. Eine Gesellschaft dieser Art stellt die Karriere und den Erfolg als erstrebenswerte Güter in Aussicht.“ Agilität und Anpassungsfähigkeit sind der Preis, den man entrichten muss, um ihrer teilhaftig zu werden. Wer keine Aussicht hat, als Anwalt erfolgreich zu sein, als Anwalt erfolgreich zu sein, wir halt Chirurg oder umgekehrt. Wer sich diesen Normen fügt, auf den mag Theodor W. Adornos Diktum, das zwar herabwürdigend klingen mag, zutreffen, wonach es für viele Menschen eine Anmaßung sei, „ich“ zu sagen. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Der Kapitalismus ist alles andere als um Diversität bemüht

Denn idealerweise sind Menschen unter kapitalistischen Vorzeichen nichts anderes als die klugen Treuhänder ihrer Humanressource. Das ist das normative Lebensmodell des Kapitalismus. Alexander Somek ergänzt: „Es ist nur insofern pluralistisch, als es je nach Marktlage eine Vielfalt von Karrieren zulässt.“ Dennoch ist die Ökonomie alles andere als um Diversität bemüht. Sie ist nicht ihr normatives Prinzip, sondern bloß ein Reflex von zufällig auftretenden Präferenzen. Ein Leben gibt es nur, insofern sich mit ihm etwas verkaufen lässt.

Wer unter kapitalistischen Vorzeichen lebt und den Drang verspürt, seinen eigenen Lebensentwurf zu leben, der läuft Gefahr, sich als Indifferenz bedacht zu erfahren. Alexander Somek stellt fest: „Der soziale Zusammenhalt steht dem, was die Menschen für ihr eigentliches Sein-Können halten, gleichgültig gegenüber.“ Man kommt nicht umhin, es seinem Ein- und Auskommen zu opfern und umgekehrt Agilität und Adaptabilität zur Schau zu stellen.

Die Gruppenidentität bietet einen Ersatz fürs eigentliche Leben

You can be anything, you want to be. Nur die Optionen kann man sich leider nicht aussuchen. Niemand kann allein gegen die Maschine, die alle beherrscht, effektiv aufbegehren. Die Prinzipien von Agilität und Adaptabilität lassen sich nicht außer Kraft setzen. Alexander Somek erläutert: „Ob man in seinem eigenen Leben vorkommen wird, muss ungewiss bleiben. Bloß die Gruppenidentität, deren Pointe es ist, durch Schrägheit aufzufallen, bietet einen allgemeine Ersatz fürs eigentliche Leben.“

Die Gruppenidentität schafft Sichtbarkeit und erweckt den Eindruck, etwas Verborgenes und Unterdrücktes ans Licht zu ziehen. Vermöge des Schrägseins können Menschen ihr Unwesen negieren, ohne zu wissen, was sie eigentlich sein wollen. Es genügt, schräg zu sein, während sie sich brav anpassen. Wie bei der politischen Repräsentation geht es überall, wo geglänzt werden kann, um die Demonstration von Präsenz. Alexander Somek weiß: „Die Gruppenrepräsentation fungiert als ein gigantischer narzisstischer Spiegel, in dem unser beleidigtes Selbstsein den Schein der Erlösung erblickt.“ Quelle: „Moral als Bosheit“ von Alexander Somek

Von Hans Klumbies

Schreibe einen Kommentar