Empathie für die Natur der Erde kann sich nur in solchen Gesellschaften entwickeln, die in ihrem Inneren einen ausreichenden Zusammenhalt aufweise. Zudem müssen sie etwas besitzen, was Joachim Bauer gesellschaftliche Empathie nennen möchte. Der Stress, dem die Gesellschaften dieser Erde durch die Corona-Pandemie des Jahres 2020 ausgesetzt waren, war eine traumatische Erfahrung. Joachim Bauer betont: „Die Erkenntnis, dass wir verletzliche Wesen sind, sollte uns Demut lehren und könnte uns von so manchem Größenwahn heilen.“ Würde man die Pandemie als eine Art Stress-Test betrachten, dann wurde dieser Test von den betroffenen Ländern sehr unterschiedliche bestanden. Dass sich die armen Länder dieser Erde der Pandemie besonders schutzlos ausgesetzt sahen, ist schlimm, aber nicht überraschend. Prof. Dr. Med. Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und Arzt.
Die Menschheit muss den Klimawandel bremsen
Für die Menschen, die in wohlhabenderen Ländern leben, sollte das ein Ansporn sein, ihre Politik stärker als bisher dem Gebot globaler Fairness unterzuordnen. Joachim Bauer erklärt: „Der wichtigste Beitrag dazu wäre, den Klimawandel wirksam zu bremsen, da er die Armut der Armen noch weiter verschärft.“ Betrachtet man nun aber die wohlhabenden Länder, so fallen hier gewaltige Unterschiede auf, wie gut – oder schlecht – die Pandemie bewältigt wurde. Eine Analyse dieser Unterschiede macht die enorme Bedeutung klar, die dem inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft für die erfolgreiche Bewältigung einer Krise zukommt.
Bei einer ungebremsten weiteren Erderwärmung stehen der Menschheit Krisen bevor, deren Belastungen über das hinausgehen können, was ihr die Corona-Pandemie zumutete. Joachim Bauer stellt fest: „Der Zusammenhalt unserer westlichen Gesellschaften ist nicht nur jetzt gefragt. Also in einer Zeit, in der wir der Klimakrise noch etwas entgegensetzen können. Er wird auch künftig gefragt sein, wenn wir weiteren, durch den Klimawandel verursachten Herausforderungen gegenüberstehen sollten.“
Ein Mensch hat mehrere Identitäten
Moderne Gesellschaften sind komplexe Gefüge, in denen es zentripetale, also auf Zusammenhalt gerichtete Kräfte gibt, die auseinanderstrebenden, zentrifugalen Kräften gegenüberstehen. In einer Krise kommt es, wie im Falle der COVID-19-Epidemie zu beobachten war und weiterhin zu beobachten ist, zu einer Aktivierung beider Kräfte. Wie sich der gegebene Zusammenhalt oder die vorhandenen Spaltungstendenzen entwickeln, entscheiden die in einer Gesellschaft lebenden Menschen.
Joachim Bauer stellt fest: „Jeder Mensch tritt sowohl als Individuum als auch als Teil einer Gruppe – meistens sind es sogar mehrere Gruppen, deren Teil wir sind – in Erscheinung. Jede Person hat eine persönliche und eine kollektive Identität.“ Meistens sind es mehrere Identitäten. Welche persönlichen und kollektiven Identitäten ein Mensch entwickelt, wird nicht durch die Gene vorherbestimmt. Biografische Erfahrungen hinterlassen im Gehirn einen deutlichen Fingerabdruck. Sie formen die Ausbildung neuronaler Netzwerke und stecken den Rahmen ab, in dem sich der oder die Einzelne im gesellschaftlichen Feld bewegen und verhalten wird. Quelle: „Fühlen, was die Welt fühlt“ von Joachim Bauer
Von Hans Klumbies