In der westlichen Kultur gibt es eine Verbindung von Freiheit und Selbstbewusstsein. Durch diese Bindung der Freiheit an das Freiheitsbewusstsein schlägt die griechisch-westliche Konzeption der Befreiung in neue Herrschaft um. Christoph Menke erklärt: „Sie reproduziert die Knechtschaft, gegen die sie sich richtet, in anderer, neuer Gestalt. In der Gestalt des Subjekts, das diese Befreiung hervorbringt.“ In dieser Sichtweise bleibt die Befreiung kraftlos, reproduziert sie die Knechtschaft, ja, ist die Befreiung nichts anderes als ein Mechanismus der Knechtschaft. Man muss sie daher von einer anderen Erzählung her weiterdenken und radikalisieren. Eine dieser anderen Erzählungen ist die jüdische Szene und Erfahrung: die Befreiung des Exodus. Der Exodus bindet die Befreiung nicht an das Bewusstsein, sondern an die Erfahrung. Christoph Menke ist Professor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
Der Exodus ist eine Konzeption radikaler Befreiung
Der Exodus denkt die Befreiung, indem er die Erfahrung vom Bewusstsein befreit. Seine Lehre ist: Die Erfahrung der Befreiung ist die Befreiung der Erfahrung. Christoph Menke erläutert: „Darin ist der Exodus eine Konzeption radikaler Befreiung. Der Exodus schneidet die Knechtschaft an ihrer Wurzel ab.“ Die griechische Genealogie dagegen besteht in einer fundamentalen semantisch-begrifflichen Transformation. Darin entwickelt sich aus dem Freisein die Freiheit.
Aus einem natürlich verstandenen Status oder gar Sein entsteht ein Wert und ein Ideal. Diese Transformation ist jedoch zutiefst zweideutig. Der westliche Wert der Freiheit ist von seinem griechischen Anfang her einen Gegensatz markiert, der sein zweideutiges Verhältnis zur Herrschaft ausmacht. In seiner alten, archaischen Verwendung bezeichnet „eleuthería“ die Zugehörigkeit zur guten, weil eigenen Gemeinschaft. Christoph Menke ergänzt: „Die Zugehhörigkeit des – im archaischen Sinn – Freien ist durch Abstammung definiert und gesichert.
Die Geschichte ist ein Prozess der Negation
Die griechische Entdeckung der Freiheit ist laut Herbert Marcuse die „Emanzipation des Bewusstseins“. Christoph Menke fügt hinzu: „Es gibt keine Freiheit, als Wert, Ideal oder Idee, ohne sich der Freiheit bewusst zu sein. Und sich der Freiheit bewusst zu sein heißt, sie der Unfreiheit entgegenzusetzen.“ „Freiheit“ heißt Begriff der Freiheit; die Entstehung der Freiheit und die ihres Begriffs sind eins. Die Befreiung besteht darin, ein Bewusstsein, einen Begriff von dem, was man ist, zu gewinnen.
Nämlich ein Bewusstsein davon, was am Freisein Freiheit ist. Und das ist ein geschichtlicher Prozess, also ein Prozess, der durch die Negation hindurchführt. Denn wenn laut Georg Wilhelm Friedrich Hegel die Geschichte der „Übergang“ ist, in dem „neue Formen“ entstehen, dann ist die Geschichte ein Prozess der Negation. Die Befreiung ist die Emanzipation des Bewusstseins. Denn sie ist eine begreifende, schöpferische neudeutende Aneignung des vormaligen Seins. Nämlich des Freiseins, das sich, retrospektiv oder prospektiv zugleich, in die Freiheit verwandelt haben wird. Quelle: „Theorie der Befreiung“ von Christoph Menke
Von Hans Klumbies