Der Astronomie gelang eines der ersten Big Data-Projekte

Astronomie ist die Wissenschaft, die ihre Forscher jahrhundertelang zur Nachtarbeit zwang. Gerd Gigerenzer fügt hinzu: „Und sie ist die erste Wissenschaft, die eines der ersten Big Data-Projekte durchführte. „Carte du Ciel“ – Himmelskarte –, ein 1887 in Paris begonnenes Projekt, bildete zwei Millionen Sterne mithilfe von 20.000 Fotoplatten des Nachhimmels ab, dokumentiert in Hunderten von Bänden veröffentlichter Daten.“ Dieses Unterfangen verdiente wahrhaftig den modernen Begriff „Big Science“, hat es doch die begrenzten materiellen und zeitlichen Ressourcen, die den Observatoren sowie Generationen von Forschern zur Verfügung standen, fast restlos verschlungen. Diese enorme Anstrengung war nur durch internationale Zusammenarbeit und der Nutzung der Sternwarten von Helsinki über das Kap der guten Hoffnung bis Sydney möglich. Gerd Gigerenzer ist ein weltweit renommierter Psychologe. Das Gottlieb Duttweiler Institut hat Gigerenzer als einen der hundert einflussreichsten Denker der Welt bezeichnet.

Beim Positivismus zählen nur Fakten

Sehr bemerkenswert war, dass das Projekt nicht dem Ziel gewidmet war, den Ruhm einzelner Astronomen zu mehren, sondern künftigen Astronomen auf mindestens 3.000 Jahre hinaus zu dienen. Gerd Gigerenzer ergänzt: „Mit der Hilfe von Fotoplatten sollten diese Forscher in der Lage sein, kleine Veränderungen am Himmel zu entdecken, die sich zu Lebzeiten eines Astronomen nicht bemerkbar machen.“ Das unvollendete Himmelskartenprojekt war ein Denkmal des Positivismus.

Gerd Gigerenzer erläutert: „Damit bezeichnet man die Auffassung, dass nur Fakten zählen, das heißt, alles was beobachtet und gemessen werden kann, im Gegensatz zu den nicht wahrnehmbaren Ideen und Spekulationen. Heute hat der Positivismus ein Comeback mit der Big Data-Analytik.“ Gemessen an ihrer kurzen Lebensdauer haben es die Astronomen mit einem sehr stabilen System zu tun – den Bewegungen der Himmelskörper. Im Gegensatz zu typischen Anwendungen des Maschinenlernens gibt es in der Astronomie Theorien über Sterne und Planeten.

Die Verwendung weniger Daten kann zu besseren Vorhersagen führen

In diesem Zusammenhang ist Big Data außerordentlich nützlich. In der heutigen Welt wird Big Data jedoch für komplexe Phänomene verwendet, die dynamisch sind und sich auf überraschende Weise verändern können. Gerd Gigerenzer stellt fest: „Hier sind die drei Vs – volume, velocity und variety, also Menge, Geschwindigkeit und Vielfalt – nur von begrenztem Nutzen, es gilt der Satz: „Weniger kann mehr sein“: Die Verwendung weniger Daten und weniger komplexer Algorithmen kann oft zu besseren Vorhersagen führen.“

Selbst das Hinzufügen eines vierten Vs – veracity, Richtigkeit, das heißt, die Zuverlässigkeit der Daten – bringt wenig. Nützlicher kann stattdessen die psychologische Künstliche Intelligenz sein. Im Jahr 2008 gaben Medien in aller Welt mit großer Aufmachung bekannt, dass Google-Ingenieure eine extrem schnelle Methode gefunden hatten, die Ausbreitung der Grippe vorherzusagen. Gerd Gigerenzer erklärt: „Die Idee schien vernünftig zu sein. Nutzer, die sich mit der Grippe angesteckt haben, gehen gewöhnlich auf die Google-Suchmaschine, um ihre Symptome zu diagnostizieren und nach Abhilfe zu suchen.“ Quelle: „Klick“ von Gerd Gigerenzer

Von Hans Klumbies