Der Umgang mit Geflüchteten ist ein Beispiel für die neue Härte

Der Umgang mit Geflüchteten ist erstes Signal und gleichzeitig eindringlichstes Beispiel für die neue Härte, die befeuert wurde durch die sozialen Verwerfungen der Pandemiejahre. Judith Kohlenberger ergänzt: „Die Ökonomisierung des Sozialen, ein Gefühl von umfassendem Kontrollverlust auf persönlicher wie gesellschaftlicher Ebene und eine zunehmende Orientierungslosigkeit münden in radikale Abwendung.“ Für das hypersoziale Wesen Mensch ist diese jedoch gar nicht mal so leicht zu bewerkstelligen. Unsere Gesellschaft investiert ein immer höheres Maß an Energie, Zeit und Geld in die Produktion von Sicherheit, die sie durch Abschottung und Undurchlässigkeit zu erreichen glaubt. Dabei hat sich der Anspruch auf Sicherheit – und die Frage, wer diesen nicht stellen darf – selbst zu einem Marker der Teilhabe entwickelt. Judith Kohlenberger ist Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin am Institut für Sozialpolitik der WU Wien und dem Österreichischen Institut für Internationale Politik (oiip).

Die Prepper-Szene hat neuen Aufwind erhalten

Sich möglichst fugendicht und abgehärtet gegen das andere zu machen, ist Norm und Lebensziel gleichermaßen geworden. Nicht nur erst seit der Corona-Pandemie hat die Prepper-Szene neuen Aufwind erhalten. Judith Kohlenberger erklärt: „Sich einen eigenen kleinen Bunker zu bauen, ihn mit Vorräten zu bestücken, um im Katastrophenfall autark überleben zu können, ist mittlerweile kein reines Hirngespinst von Sektenmitgliedern oder Reichsbürgern mehr.“

Dieses Vorgehen wird angesichts der wieder realer gewordenen Gefahr eines Atomkriegs zum scheinbar vernünftigen Umgang mit der Welt, wie sie eben ist. Judith Kohlenberger fügt hinzu: „Die Fantasie vom Selbstversorgerdasein hat mittlerweile einen ganzen Wirtschaftszweig begründet; von Energieautarkie durch eigene Solarpalelle bis zur neuen Biedermeieridylle, die von „tradwives“ auf Instagram inszeniert wird, ist dort alles zu finden.“ Mit der Unbegrenztheit des Wissens und damit selbstgegrenzten potenziellen Risiken – auch das hat uns die Pandemie gezeigt – tun wir uns ebenfalls schwer.

Die Wissenschaft spricht nicht von absoluten Wahrheiten

Vielmehr sehnen wir uns nach gesichertem Wissen, nach einer Begrenzung, nach Kleinheit und Blasen. Judith Kohlenberger vermutet: „In den deutschsprachigen Ländern ist wohl auch deshalb die Wissenschaftsfeindlichkeit signifikant gestiegen, spricht Wissenschaft doch seit jeher von Wahrscheinlichkeiten statt von absoluten Wahrheiten.“ Sie muss die Tür offen lassen für all die Möglichkeiten, welche die Unbegrenztheit der menschlichen Erkenntnis, des Planeten, der Galaxie bereithält.

Judith Kohlenberger stellt fest: „Diese Offenheit aber ist in Zeiten tektonischer geopolitscher Verschiebungen, ökologischer Krise und sozialen Kontrollverlust keine Verheißung mehr, sondern nur mehr verstörend und beängstigend.“ Wer da nicht hart sein kann oder will, sondern zugewandt bleibt, wird schon mal als schwach abgestempelt. Für Empfindsamkeit gibt es in der neoliberalen Leistungsgesellschaft keinen Platz, und das Gebot der Härte kennt keine Nachsicht. Politisch werden Stabilität und Abgrenzung beim starken Mann gesucht, der einfache Lösungen in Form von Nationalismus und Abschottung anzubieten hat. Quelle: „Gegen die neue Härte“ von Judith Kohlenberger

Von Hans Klumbies