Den Liberalismus prägt die voluntaristische Vorstellung von Freiheit

Abgesehen von der Prämie der amerikanischen Macht hatte das Versprechen der Vorherrschaft in den Nachkriegsjahren noch eine tiefere Quelle – in der Philosophie des Öffentlichen im zeitgenössischen Liberalismus. Michael J. Sandel erklärt: „Dieser Liberalismus machte den Vorrang des Rechts vor dem Guten geltend; der Staat sollte gegenüber konkurrierenden Vorstellungen des Lebens neutral sein.“ Damit würde er die Menschen als freie und unabhängige Persönlichkeiten respektieren, die in der Lage seien, ihre eigenen Ziele zu wählen. Die voluntaristische Vorstellung von Freiheit, die diesen Liberalismus beflügelt, bietet eine befreiende Vision, das Versprechen einer Handlungsmacht, die scheinbar auch unter den Bedingungen konzentrierter Macht zu verwirklichen war. Michael J. Sandel ist ein politischer Philosoph. Er studierte in Oxford und lehrt seit 1980 in Harvard. Er zählt zu den weltweit populärsten Moralphilosophen.

Die Gesetze des Staates müssen gegenüber Zielen neutral sein

Die Republikaner, inspiriert von der zivilgesellschaftlichen Vorstellung von Freiheit, hatten gegen „den Fluch der Größe“ polemisiert, weil sie wegen der Lücke zwischen den Begriffen der politischen Gemeinschaft und der Größenordnung des Wirtschaftslebens besorgt waren. Michael J. Sandel fügt hinzu: „Angesichts moralischer und kultureller Differenzen hatten sie darum gekämpft, gemeinsame Zwecke und Ziele zu formen. Die voluntaristische Vorstellung von Freiheit schien keine solchen Anstrengungen zu verlangen.“

Wenn der Staat einen Rahmen von Gesetzen schaffen konnte, der gegenüber Zielen neutral war, dann konnten Bürger ihre eigenen Werte und Ziele verfolgen, soweit sie mit einer vergleichbaren Freiheit für andere übereinstimmten. Michael J. Sandel erläutert: „In einer Zeit, in der die sozialen und wirtschaftlichen Tatsachen des modernen Lebens drohten, die republikanische Freiheit ins Reich der Nostalgie zu schicken, fanden die Amerikaner ihren Weg zu einer Freiheitsvorstellung, die – anders als die zivilgesellschaftliche Vorstellung – nicht von geteilter Macht abhing.“

Menschen sollten sich selbst für ihr gutes Leben entscheiden können

Wenn Freiheit von einem gegenüber Zielen neutralen rechtlichen Rahmen abhängt, in dem die Menschen ihrer eigenen Sicht des guten Lebens nachgehen können, bleibt zu fragen, welche Rechte ein solcher Rahmen erfordert. Michael J. Sandel stellt daher folgende Fragen: „Verordnet die voluntaristische Freiheit nur Respekt für bürgerliche und politische Rechte wie Redefreiheit, Religionsfreiheit, das Recht auf Schwurgerichtsverfahren und Stimmrecht? Oder fordert sie bestimmte soziale und wirtschaftliche Rechte, etwa das Recht auf Bildung, Arbeit, Wohnung und Gesundheitsfürsorge.“

Von den 1940er bis zu den 1990er Jahren pflegten verschiedene Menschen je unterschiedliche Antworten auf diese Fragen zu geben. Doch was immer ihre Ansichten zu Umfang und Inhalt individueller Rechte sein mochten – die meisten rechtfertigten ihre Argumente in Begriffen, die von der voluntaristischen Vorstellung der Freiheit geprägt waren. Darin zeigte sich ein Wandel in den Begriffen der politischen Debatte. Michael J. Sandel weiß: „Die neue Philosophie der Öffentlichkeit fand ihren ersten dauerhaften Ausdruck vor Gericht.“ Quelle: „Das Unbehagen in der Demokratie“ von Michael J. Sandel

Von Hans Klumbies