Peter Trawny stellt sich vor, dass die Liebe das Böse und den Hass besiegt hat und die Welt beherrscht: „Die Macht der Liebe hätte sich durchgesetzt. Es gäbe nichts Schöneres als dieses globale Happy End, Wiederkehr des Paradieses, in dem Mensch und Tier in ewigem Frieden zusammenleben würden.“ Aber das Verhältnis von Macht und Liebe ist ein schwieriges, wenn nicht unmögliches. Die Politik hat nicht nur das Wohlergehen Einzelner im Blick, sondern das ganzer Gesellschaften und Völker. Die Liebe hätte sich nicht nur auf meinen Nächsten, auf die Geliebten zu beziehen, sondern auf Kollektive. Das Begehren, für den Anderen da zu sein, sich um ihn zu kümmern, gilt nun der gesamten Welt. Peter Trawny gründete 2012 das Matin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat.
Liebe setzt das Wohl der Gemeinschaft nie über das von Einzelnen
Liebe, dieser intimste Selbstverlust im Anderen, kann sie politisch werden? Kann man ein Kollektiv, gar ein Volk lieben? Peter Trawny vermutet: „Diese Fragen sind wahrscheinlich nur zu beantworten, wenn man ein bestimmtes Verständnis des Politischen voraussetzt.“ Er bleibt dabei sehr allgemein und behauptet, dass das Politische darin besteht, das Wohl der Gemeinschaft über das von Einzelnen zu stellen. Dabei wäre das Wohl noch weiter auszudifferenzieren. Für Peter Trawny besteht es keineswegs nur in ökonomischen Vorteilen.
Liebe aber setzt das Wohl der Gemeinschaft nie über das von Einzelnen. Sie ist immer Zuwendung zur Einen oder doch zu Wenigen. Peter Trawny erklärt: „Das gerade ist ihre unverwechselbare Macht: Sie bevorzugt den konkreten Anderen vor allen Anderen. So lässt sich durchaus behaupten, dass Liebe – ungerecht ist.“ Vermutlich besteht hier eine Verbindung, die sich im unüberwindbaren Dissens von Liebe und Freiheit vorwegnimmt. Wie man für den Geliebten seine Freiheit aussetzt beziehungsweise als ausgesetzt erfährt, so unterbricht man für ihn sein Gerechtigkeitsempfinden.
Der Politiker vermeidet die Liebe in der Politik
Daher gilt: Der Politiker liebt nicht, er liebt jedenfalls nicht den Gegenstand seiner Politik. Peter Trawny erläutert: „Er unterwirft sich der Gerechtigkeit, hört nicht nur den ersten Anderen, sondern auch den zweiten und dritten. Er urteilt besonnen, nach Möglichkeit ohne Leidenschaft oder einzig mit Leidenschaft für die Gerechtigkeit.“ Nur so wird er auf die politischen Ereignisse und Ansprüche der Welt eingehen können. Der Politiker vermeidet also die Liebe, wenn er Politik betreibt.
Doch es gibt noch etwas Anderes. Über die Liebesvermeidung geht die Liebesverfluchung hinaus. Peter Trawny stellt fest: „Sie steht am Beginn einer Politik, die ihren Liebesverzicht in apathische Feindschaft steigert. Diese Feindschaft vermeidet Liebe nicht nur, sie vernichtet sie.“ Darüber hinaus gibt es eine Liebesverfluchung: Vielleicht ist sie es, die einen Adolf Hitler, einen Josef Stalin und all ihre verschämten Nachahmer hervorgebracht hat und noch hervorbringen wird. Quelle: „Philosophie der Liebe“ von Peter Trawny
Von Hans Klumbies