Das Urteil eines anderen kann in der Seele brennen

Ger Groot erklärt: „Was er über mich denkt, entzieht sich meinem Zugriff, ich bin dem anderen darin ausgeliefert – mir buchstäblich entfremdet und entwendet.“ Wie tief dies das eigene Selbstverständnis berühren kann, weiß Jean-Paul Sartre. Das Urteil eines anderen kann in der Seele brennen. Jean-Paul Sartre schreibt: „Das Wesen der Beziehungen zwischen Bewusstsein ist nicht das Mitsein, sondern der Konflikt.“ Aus diesem Grund kann er am Anfang von „Der Existenzialismus ist ein Humanismus“ den Atheismus als Bedingung seiner Existenzphilosophie bezeichnen. Denn Gott ist schließlich der andere schlechthin, der den Menschen immerzu sieht, aber sich selbst niemals sehen, daher auch nicht zum Objekt machen lässt. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam. Außerdem ist er Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

Sartres Stück „Geschlossene Gesellschaft“ spielt in der Hölle

Die Befreiung des Menschen in einem authentischen Dasein wird also erst dann möglich, wenn es den Blick dieses ewigen anderen nicht mehr gibt. Ger Groot erläutert: „Und da Freiheit offenbar möglich ist, kann Gott nicht existieren, lautet Sartres ebenso knapper wie lakonischer Anti-Gottesbeweis.“ Zwischen Unterwerfen und Unterworfenwerden gibt es nach Jean-Paul Sartres Ansicht keinen Mittelweg.“ Es gibt im wahrsten Sinne des Wortes kein „wir“.

Gelegentlich erfährt sich ein Mensch als „wir“. Das ist allerdings nur ein oberflächlicher Eindruck, der entsteht, wenn man eine Gruppe von Menschen von einem äußeren Blick zu einem Kollektiv zusammenfasst: Reisende in einem Autobus beispielsweise. Aber auch dann ist es immer ein äußerer Blick, der die Menschen bestimmt. In einem seiner Theaterstücke hat Jean-Paul Sartre die verheerende Wirkung dieses Blicks thematisiert. Seine „Geschlossene Gesellschaft“ spielt in der Hölle. Das Stück läuft auf den berühmtesten Einzeiler des Existenzialismus hinaus: „Die Hölle, das sind die anderen.“

Das Schicksal des Menschen liegt in ihm selbst

Selbst die Liebe bietet darin keinen Ausweg. Jede Intimität zwischen zwei Personen stört stets eine dritte Figur. Sie bricht wie ein Voyeur in das erträumte Paradies der Zweisamkeit ein und stellt es in der Obszönität seiner nackten Sichtbarkeit zur Schau. In „Geschlossene Gesellschaft“ inszeniert Jean-Paul Sartre diese Enthüllung von Liebe und Erotik noch sehr verhalten. Ger Groot stellt fest: „In Sartres Philosophie bedroht der andere dauernd meine Authentizität, solange ich ihn nicht meinerseits vernichte.“

Das wirft nicht gerade ein rosiges Bild auf das existenzialistische Menschenbild, das in der Wahrnehmung der Vierziger- und Fünfzigerjahre gleichbedeutend mit Einsamkeit, Sinnlosigkeit und Aussichtslosigkeit ist. Ger Groot weiß: „Dennoch bestreitet Sartre, dass der Existenzialismus eine pessimistische Philosophie sei. Jean-Paul Sartre schreibt: „Es gibt keine optimistischere Lehre, da das Schicksal des Menschen in ihm selbst liegt.“ Doch dazu muss er dem gegenüber, was er noch in seinem Hauptwerk geschrieben hat, unmittelbar nach dem Krieg eine Wendung vollziehen. Quelle: „Und überall Philosophie“ von Ger Groot

Von Hans Klumbies

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