Das Stereotyp „Alle Politiker lügen“ ist weit verbreitet

Hannah Arendt betonte, dass „Lügen zum Handwerk nicht nur der Demagogen, sondern auch des Politikers oder sogar des Staatsmannes“ gehöre. Das ist ein bemerkenswerter und beunruhigender Tatbestand. Peter Trawny stellt fest: „Keine Frage, dass die Philosophin an ein weitverbreitetes Urteil oder Vorurteil erinnert.“ Gerade in Deutschland scheint das Stereotyp „Alle Politiker lügen“ weit verbreitet zu sein. So verbreitet sogar, dass der wahrscheinlich mächtigste Politiker, der Deutschland jemals regierte, ja über es herrschte, beim Volk so erfolgreich war, weil er alles andere als Politiker sein wollte. Das Thema ist alt. Es ist Sokrates, der in Platons großem Dialog über die beste Verfassung für die Stadt von einer edlen oder vornehmen Täuschung spricht, mit der man die Befehlenden oder sogar die ganze Stadt zu ihrem Vorteil überreden könne. Peter Trawny gründete 2012 das Matin-Heidegger-Institut an der Bergischen Universität in Wuppertal, dessen Leitung er seitdem innehat.

Politiker können die Welt der Medien nicht ignorieren

Er denkt dabei an einen Mythos, eine Erzählung also, der und die den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern könnte. Und auch gerade heutzutage sind solche Erzählungen bekannt, mit denen gewisse Politiker die Stimmung in ihren Ländern verbessern wollen, um so den persönlichen Einsatz des Einzelnen in der Gesellschaft anzuspornen. Peter Trawny fragt: „Was ist dagegen einzuwenden?“ Diese nicht nur rhetorische, sondern darüber hinaus ästhetische Dimension des Politischen ist vielen Menschen vertraut.

Längst sind die Politiker keine Figuren mehr, die es sich erlauben können, die Welt der Medien zu ignorieren. Peter Trawny erklärt: „Bilder haben immense Bedeutung erlangt, und die Inszenierung bis in Modeaccessoires hinein ist womöglich wichtiger als politische Aussagen.“ Auch da sind Massenmedien mächtig: So scheinen Politiker inzwischen gezielt Dinge anzusprechen, die sie womöglich persönlich ablehnen, mit denen sie aber Anhänger mobilisieren können.

Brot und Spiele lenkten im antiken Rom von der Politik ab

Vermutlich kann kein Politiker auf der Welt das virtuelle Element der Politik ignorieren. Peter Trawny fügt hinzu: „Selbst in Ländern wie China oder, mehr noch, Nordkorea ist die kontrollierte und kontrollierende Inszenierung unübersehbar. Gerade dort, in diesen mehr oder weniger sozialisierten Gesellschaften, in denen Gleichheit in allen Belangen verordnet wird, sind die Nachklänge von Maos Personenkult unüberhörbar.“ Was einen westlichen Betrachter befremdet, scheint in diesen Gesellschaften Stimmung zu machen.

Wie kann ein Kim Jong-un beliebt sein oder verehrt werden? Peter Trawny blickt zurück: „Das ist übrigens kein neues Phänomen: Im antiken Rom unter den Kaisern Augustus und Tiberius bekam das Volk „panem et circenses“ – Brot und Spiele im Zirkus –, um sich nicht allzu sehr mit der Politik zu beschäftigen.“ In der Corona-Pandemie könnte die Fortsetzung der Spiele der Fußball-Bundesliga übrigens ganz ähnlich gewirkt haben. Aber umso täuschungsbereiter die Politik schlechthin zu sein scheint, desto wichtiger könnte die Wahrheit werden. Quelle: „Krise der Wahrheit“ von Peter Trawny

Von Hans Klumbies

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