Wer sich oft dabei ertappt, viel Zeit alleine mit dem Handy zu verbringen, sich durchs Internet zu klicken, und immer „auf dem neuesten Stand“ zu sein, sitzt ganz offensichtlich dem Irrglauben auf, dass sein Verhalten irgendetwas mit dem Erwerb von Wissen oder gar Bildung beziehungsweise mit Kommunikation oder gar sozialer Interaktion zu tun hat. Manfred Spitzer weiß: „In Wahrheit hat er oder sie nicht bemerkt, dass sich eine Technologie in alle Bereiche des Alltags eingenistet hat, die zwischen uns und den anderen steht: >Medien< heißt >Vermittelndes< und ist damit genau das Gegenteil von Unmittelbarkeit.“ Das bleibt oft unbeachtet, wenn es um Medien geht; der Unterschied ist jedoch gewaltig und mitunter auch teuer. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.
Empathie erwirbt man vor allem im Dialog miteinander
Die Zentren für das Sehen und Hören, für die Motorik oder die Sprache im menschlichen Gehirn sind seit mehr als einem Jahrhundert bekannt. Die Zentren für das Sozialverhalten eines Menschen – „the social brain“, wie es oft genannt wird – hingegen wurden erst in den letzten 20 Jahren erforscht. Wie überall im Gehirn findet auch in diesen Zentren ein permanenter Lernprozess statt. Durch den Umgang mit seinen Mitmenschen lernt ein Individuum, die anderen zu verstehen, ihre Gedanken zu lesen und ihre Gefühle mitzuempfinden. In der Realität – unvermittelt.
Manfred Spitzer warnt: „Anlass zur Sorge bereiten aus genau diesem Grund wissenschaftliche Studien, die belegen, dass moderne Informationstechnik reale Sozialkontakte gerade bei Kindern und Jugendlichen in einem nie dagewesenen Ausmaß ersetzt.“ Damit einher geht eine Verminderung des Mitgefühls für andere Menschen. Die Empathie von Jugendlichen für ihre Eltern und Freude ist umso geringer, je mehr Zeit sie täglich mit Bildschirmmedien verbringen. Empathie erwirbt man vor allem im Dialog miteinander.
Für kleine Kinder gibt es nichts Interessanteres als andere Menschen
Schon vor mehr als einem Jahrzehnt wurde nachgewiesen, dass die Muttersprache sich nicht mittels Bildschirm und Lautsprecher erlernen lässt. Vielmehr bedarf es dazu realer Dialoge mit Menschen in der Welt des Alltags. Nicht anders ist es mit der Entwicklung von Mitgefühl: Wie soll ein Kleinkind das Mit-Fühlen lernen, wenn niemand da ist, der etwas fühlt? Für kleine Kinder gibt es nichts Interessanteres als andere Menschen. Kinder lernen sogar schon vor der Geburt die ersten Laute ihrer Muttersprache.
Wie man mittlerweile weiß, kommen daher die Kinder schon mit einem besonderen Faible für die Laute ihrer Muttersprache auf die Welt. Nach der Geburt geht es dann richtig los: Je mehr die Eltern gleich nach der Geburt mit dem Kind sprechen, desto besser klappt es mit der Kommunikation im Alter von 18 Monaten. Wenn die Mutter oder der Vater das Kind im ersten Lebensjahr auf dem Arm haben und mit ihm sprechen, dann beobachten die Kinder deren Mund ganz genau, um die Sprachlaute noch besser unterscheiden zu lernen. Quelle: „Einsamkeit“ von Manfred Spitzer
Von Hans Klumbies