Darstellung und Aufführung decken ein breites Spektrum an Darbietungen ab

Zweimal hat Richard Sennett versucht, die Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft auf soziologischer Ebene zu untersuchen – zunächst 1977 in „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ und dann, vierzehn Jahre später, in „Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschied“. Darstellung und Aufführung decken ein breites Spektrum an Darbietungen ab. Gewöhnlich rät man jungen Autoren, über Dinge zu schreiben, die sie kennen. Das ist ein schlechter Rat. Wer jung ist, sollte seiner Fantasie freien Lauf lassen. Für ältere Autoren ist der Rat dagegen gut. Für sie ist es höchste Zeit, vor sich selbst Rechenschaft über ihr Leben abzulegen. Erinnern kann indessen auch gefährlich sein. Richard Sennett lehrt Soziologie und Geschichte an der London School of Economic und an der New York University.

Rituale werden häufig zyklisch ausgeführt

Zwischen Kunst und Stadt besteht eine besondere Affinität. „Die Kunst ist eine Folge der Überbevölkerung“, erklärte einmal der Literaturkritiker William Empson und meinte damit, dass dicht besiedelte Orte Menschen stimulieren, die dort durch Vergleich und Konkurrenz neue Möglichkeiten erkennen, wie man etwas tun könnte. Richard Sennett ergänzt: „Solch eine kreative Stimulierung kann nicht entstehen, wenn die „Kreativen“ isoliert werden oder unter sich bleiben – in einem Dorf oder einem Campus gleichgesinnter Menschen.“

Anthropologen und andere haben endlos über die Bedeutung des Rituals debattiert. Der Anthropologe Victor Turner gab einmal eine Definition, die trocken, aber ebenso gut wie jede andere ist: „Ein Ritual ist eine stereotype Abfolge von Aktivitäten, zu denen Gesten, Worte und Objekte gehören, ausgeführt an einem besonderen Ort und dazu bestimmt, außernatürliche Entitäten oder Kräfte zugunsten der Ziele und Interessen des Akteurs zu beeinflussen. […] Rituale werden häufig zyklisch ausgeführt – jährlich, alle zwei Jahre, alle fünf Jahre und so weiter. […] Trostrituale bringen Emotion in diese leblose stereotype Abfolge von Aktivitäten.“

Die Strenge des Rituals ist weniger nachsichtig als profane Aktivitäten

Richard Sennett weiß: „Menschen vollziehen Rituale schon seit Anbeginn organisierten sozialen Lebens mehrere tausend Jahre vor dem Erscheinen geschriebener Sprache. Ursprünglich war das Ritual eine wortlose Darbietung.“ Heute wie damals besteht der physische Ritus aus kollektivem Handeln statt individuellem Ausdruck. Damit Rituale als kollektiver Ausdruck fungieren können, benötigen sie strenge Regeln, die alle Beteiligten aufeinander ausrichten und von einer Generation an die nächste weitergegeben werden.“

Diese Regeln geben an, wie Körper sich im Verhältnis zu anderen bewegen und welche Gebärden die Teilnehmer vollführen sollen; sie bestimmen, wann gesprochen wird und wann zu schweigen ist. Richard Sennett fügt hinzu: „Wie jede Aufführung legt das Ritual auch Maßstäbe für eine gute Aufführung fest. Die Strenge des Rituals ist weniger nachsichtig als profane Aktivitäten wie der Guss des Topfes. Auch in einem leidlich guten, wenngleich nicht perfekt geformten Topf kann man eine gute Mahlzeit zubereiten.“ Quelle: „Der darstellende Mensch“ von Richard Sennett

Von Hans Klumbies