Wenn ein Arbeitnehmer einer entwickelten und insgesamt überaus erfolgreichen Marktwirtschaft, wie sie in Deutschland existiert, mit einer regulären Beschäftigung nicht einmal mehr seine Existenz sichern kann, dann stimmt etwas mit dieser Marktwirtschaft nicht und noch viel weniger mit einer Gesellschaft, die solche Zustände zulässt. Hin und wieder flackert zwar laut Daniel Goeudevert die Empörung darüber auf, um sich dann allerdings meist schnell wieder in fruchtlosen Diskussionen über Einzelfälle zu verlieren. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung schätzt, dass es in Deutschland rund 3,5 Millionen Beschäftigte gibt, die weniger als 7,50 Euro in der Stunde verdienen. Weit mehr als doppelt so viele, nämlich fast ein Viertel aller Beschäftigten in der Bundesrepublik arbeiten mittlerweile im so genannten Niedriglohnbereich. Der Topmanager Daniel Goeudevert war Vorsitzender der deutschen Vorstände von Citroën, Renault und Ford sowie Mitglied des Konzernvorstands von VW.
Die Hungerlöhner von heute werden die Armen der Zukunft sein
Daniel Goeudevert schreibt: „Das sind 6,5 Millionen Menschen, die sich für weniger als zehn Euro die Stunde verdingen. Drei Viertel dieser Leute haben eine Berufsausbildung oder sogar einen Hochschulabschluss. Etwa die Hälfte von ihnen arbeitet Vollzeit.“ Und diese Millionen Hungerlöhner haben seiner Meinung nach nicht nur ein akutes Problem, denn ihre Armut wird sich zwangsläufig im Alter fortsetzen, weil sie entweder gar nicht in der Lage sind, für ihre Zukunft vorzusorgen, oder weil ihre Beiträge in den Rentenkassen so gering ausfallen, dass sie später auf Transferleistungen angewiesen sein werden.
Deshalb ist es für Daniel Goeudevert richtig, über die Einführung von Mindestlöhnen nachzudenken. Er schreibt: „Es ist nicht nur richtig, es ist ein Gebot verantwortungsvollen Handelns. Wenn es nur nach dem Markt ginge, würden sich viele Löhne zwangsläufig auf ein existenzgefährdendes Niveau herunterkonkurrieren.“ Denn es wird sich immer jemand finden, der die gleiche Arbeit für ein paar Cent weniger macht.
Die Bürger müssen die Einkommensverteilung wieder nachvollziehen können
Wer mit dem Argument, Mindestlöhne würden Arbeitsplätze gefährden, gegen eine solche Grundsicherung polemisiert, dem gibt Daniel Goeudevert in einem Punkt recht. Er schreibt: „Ja, Arbeit, die derart gering geschätzt, die offenbar nicht nachgefragt wird und die kein Auskommen sichert, gehört abgeschafft.“ Auf der anderen Seite offenbart dieses Argument laut Daniel Goeudevert auch noch einen eklatanten Mangel an Verantwortung, weil es eine ökonomische Praxis rechtfertigt, die aus Armut Gewinn erwirtschaftet.
Die Entwicklung, dass das Einkommen der Mehrheit der Beschäftigten in Deutschland stagniert oder sogar sinkt, während sich die Spitzenverdiener in immer neue Gehaltsregionen hieven, ist in der jüngsten Vergangenheit endlich stärker in das öffentliche Blickfeld geraten. Deshalb ist Daniel Goeudevert auch davon überzeugt, dass viele der hier angesprochenen Probleme und Ärgernisse behebbar sind. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Einkommensverteilung wieder nachvollziehbarer gemacht und sich erkennbar an Leistungskriterien orientieren.
Von Hans Klumbies