Wenn milliardenschwere Unternehmen öffentlich verkünden, künftig nicht nur gegenüber den Shareholdern, sondern auch gegenüber allen Stakeholdern, etwa gegenüber ihren Kunden und Angestellten, verantwortlich handeln zu wollen, kommt das für Daniel Goeudevert einem unfreiwilligen Geständnis gleich. Und zwar, dass sie diese Verantwortung bislang missachtet haben. Der ehemalige Top-Manager hält solche, mehr oder weniger ungeschickten, Marketing-Kampagnen für nichts anderes als rhetorische Umarmungen. Sie sollen dem Zeitgeist Tribut zollen und um Wählergunst buhlen. Gleichzeitig sollen sie dazu dienen, mögliche Verschärfungen bei der Besteuerung oder Regulierung der Unternehmen abzuwehren. In den Firmen- und Parteizentralen geht man davon aus, dass sich solche positiven Signale rasch versenden, im Sinne von versickern. Ohne dass später auch tatsächlich Konsequenzen eingefordert werden. Daniel Goeudevert war Vorsitzender der deutschen Vorstände von Citroën, Renault und Ford sowie Mitglied des Konzernvorstands von VW.
Für das Angebot müssen Firmen aktiv Nachfrage schaffen
Ihr Zweck ist ein anderer: „Moderne Propaganda“, hat der zu Unrecht weithin unbekannte Vater der Public Relations, Edward Bernays, schon 1928 geschrieben, „ist das stetige, konsequente Bemühen, Ereignisse zu formen oder zu schaffen mit dem Zweck, die Haltung der Öffentlichkeit zu einem Unternehmen, einer Idee oder einer Gruppe zu beeinflussen.“ Und Edward Bernays wusste auch, warum solche Beeinflussung gerade für die Industriegesellschaft so wichtig ist.
Edward Bernays schreibt: „Massenproduktion ist nur dann profitabel, wenn sie dauerhaft stattfinden kann. Das heißt, wenn man die abgesetzte Gütermenge zumindest konstant hält oder besser kontinuierlich steigert.“ Daraus folgt: Während in der durch kleine Produktionseinheiten und Handarbeit geprägte Ökonomie […] die Nachfrage das Angebot schuf, muss für das Angebot heute aktiv die nötige Nachfrage geschaffen werden. Über Werbung und Propaganda muss beispielsweise eine Fabrik ständig in Kontakt mit der Öffentlichkeit bleiben.
Die Wirtschaft arbeitet heute nachfrageorientiert
Und so ist es laut Daniel Goeudevert bis heute. Aber dieses Fundament der Industriegesellschaft bröckelt. Werbung, wie sie die zweite Hälfte des vergangen Jahrhunderts geprägt hat, verfängt immer weniger. Schon heute wandelt sich die Ökonomie, nicht zuletzt im Zuge der Digitalisierung zu einer nachfrageorientierten Wirtschaft. Das liegt vor allem an einer immer stärkeren Individualisierung der Lebensentwürfe und Konsumbedürfnisse der Menschen.
Eines der modernen Zauberwörter in der Wirtschaft lautet „Disruption“. Für Daniel Goeudevert benennt es jedoch in Wahrheit einen Vorgang, der so alt ist wie die Ökonomie selbst: „Wer sich an alte Erfolge klammert und auf Innovationen, neue Entwicklungen oder Erfordernisse und sich verändernde Bedürfnisse abwehrend oder nur vordergründig reagiert, schafft sich im Grunde selbst ab.“ Einst weltmarktführende Konzerne etwa der Musikindustrie, der Fotoindustrie oder des Versandhandels haben dieses Schicksal bereits durchlitten. Quelle: „Sackgasse“ von Daniel Goeudevert
Von Hans Klumbies