Der Faschismus war totalitär

Der Aufstieg politischer Regime mit dem Anspruch, das gesamte Leben der Bürger uneingeschränkt zu bestimmen und zu kontrollieren, zählt zu den bemerkenswertesten Kennzeichen des 20. Jahrhunderts. Der italienische Faschistenführer Benito Mussolini schrieb im Jahr 1932: „Alles ist im Staat beschlossen und nichts Menschliches oder Geistiges existiert außerhalb des Staates.“ In dieser Hinsicht erklärte er, sei der Faschismus totalitär. Der faschistische Staat dominiere als die Summe und Einheit aller Werte die Gesamtheit des Lebens. Christopher Clark stellt fest: „Liberale Kritiker des italienischen Regimes erkannten schon bald die Ähnlichkeiten zwischen Mussolinis System und dem kommunistischen Regime in Russland.“ Amerikanische Politologen erkannten bei der Betrachtung der neuen europäischen Regime – seien sie stalinistisch, faschistisch oder nationalsozialistisch – eine qualitativ neue Form der Politik. Christopher Clark lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine`s College in Cambridge.

Eine Diktatur hat einen allmächtigen Anführer

Dabei handelte es sich um eine neues „Basismodell“ der Diktatur. In diesem übernahm eine extremistische, von einem allmächtigen Anführer dominierte Partei im Namen einer allumfassenden Ideologie die Kontrolle. Sie ersetzte das bestehende parlamentarische System durch ein Terrorregime. Dabei wurden Partei und Staat miteinander verschmolzen und sämtliche Kommunikationsmittel unter die totale Kontrolle des Regimes gebracht. Das Ergebnis war eine beängstigende Konzentration von Macht in einer Person oder im Falle des poststalinistischen Kommunismus in einer riesigen Gerontokratie politischer Wächter.

Diese Regime nutzten sämtliche Instrumente der administrativen und technologischen Moderne. Gleichzeitig schafften sie eine unabhängige Legislative, eine pluralistische Massenkommunikation sowie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ab. Wobei Italien lediglich dem Anspruch nach totalitär war. Die katholische Kirche, die niemals absorbiert oder vollständig vom Regime eingebunden wurde, blieb eine überaus einflussreiche Institution.

Die Deutschen duldeten den Nationalsozialismus

Christopher Clark weiß: „Es bestand noch eine halbautonome Monarchie und staatliche Struktur.“ Die Faschisten entwickelten einen öffentlichen Führerkult und einen aufgeblasenen nationalistischen Pomp. Aber trotz aller Bemühungen gelang es ihnen niemals, die Überzeugungen, Erinnerungen, Erwartungen oder Loyalitäten der Mehrzahl ihrer Untertanen zu prägen. Die faschistische Bewegung war sowohl ihrer Anschauung nach als auch ihrer Struktur nach diffus. Das nationalsozialistische Regime war eindeutig weit tödlicher, sowohl was die innen- wie auch die außenpolitische Projektion der Macht angeht.

Für die meisten Deutschen wurden Zwang und Terror der Hitler-Diktatur sozial konstruiert durch das, was sie gesprächsweise erfuhren, was sie in der Presse lasen oder im Rundfunk hörten. Terrormaßnahmen fanden statt, aber sie waren selektiv und gezielt. Adolf Hitler schickte sich nie an, weiten Teilen der Gesellschaft die Stirn zu bieten und sie seinem Willen gefügig zu machen. Daraus folgt, dass Zustimmung oder zumindest Duldung das Regime stabilisierten, nicht die unmittelbare Anwendung von Zwang. Quelle: „Gefangene der Zeit“ von Christopher Clark

Von Hans Klumbies