Friedrich Nietzsche denkt die Philosophie der Zukunft

Friedrich Nietzsche schreibt im März 1884 an Heinrich Köselitz, dass er nachdem er sein Stillschweigen gebrochen habe, zu irgendeiner „Philosophie der Zukunft“ verpflichtet sei. Christian Niemeyer weiß: „Geschrieben wurde der Brief zu einer Zeit, zu der Friedrich Nietzsche den „Zarathustra“ für abgeschlossen hielt.“ Es ist sich nun sicher, dass der Leser, der einmal in diesem Buch gelebt hat, mit einem anderen Bewusstsein wieder zur Welt zurückkommt. Insoweit markiert der „Zarathustra“ den die geistige Umkehr des Lesers bewirkenden „Abgrund der Zukunft“. Noch nicht aber, wie Christian Niemeyer hinzusetzen möchte, jene „Philosophie der Zukunft“. Diese hätte zugleich auch die Notwendigkeit dieser Umkehr und einer verantwortbaren Lebensführung vorzutragen. Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

Friedrich Nietzsche gilt als Psychologe des Ewig-Weiblichen

Will man die Konturen der „Philosophie der Zukunft“ bestimmen, muss man genauer betrachten, was dem „Zarathustra“ folgt. Dabei ist auffällig, dass viele dieser Arbeiten offensichtlich weniger durch eine philosophische denn durch eine psychologische Absicht geprägt sind. So wird beispielsweise „Der Fall Wagner“ angekündigt als „ein honnettes Duell eines Psychologen mit einem frommen Verführer“. „Nietzsche contra Wagner“ figuriert im Untertitel unter der Chiffre „Aktenstücke eines Psychologen“.

Die „Götzen-Dämmerung“ ging ursprünglich unter dem Titel „Müßiggang eines Psychologen“ an den Verlag. Und „Ecce homo“ schließlich verdient es, dass man das Buch schon allein wegen des autobiographischen Bezuges als Dokument für Friedrich Nietzsches psychologische Neugier liest. Christian Niemeyer ergänzt: „Sie erhält im Übrigen nun auch Zufuhr von Dritten, etwa von Fjodor Michailowitsch Dostojewski.“ Diesem verdankt Friedrich Nietzsche, wie er im November 1888 festhält „das wertvollste psychologische Material“. Mit Stolz reagiert Nietzsche im gleichen Monat auf das Lob Strindbergs. Dieser erblickte in ihm „den größten Psychologen des Ewig-Weiblichen“.

Zarathustra übernimmt die Rolle des Psychologen

Die psychologischen Absichten für das Spätwerk von Friedrich Nietzsche sind offensichtlich. Dies gilt auch für jene zwei Werke der Nach-Zarathustra-Ära, die Nietzsche im Juni 1888 zu den „weitgreifendsten und wichtigsten“ seines Gesamtwerks erklärte. Nämlich die „Genealogie der Moral“ sowie „Jenseits von Gut und Böse“. Christian Niemeyer fügt hinzu: „Insoweit liegt die Vermutung nahe, dass Nietzsche in dieser Werkphase auch das Übermenschen-Konstrukt in psychologisierter Fassung aufbereitet hat.“

Nur in dieser Form wollte er es als Vermächtnis seiner „Philosophie der Zukunft“ der Nachwelt anbieten. Begonnen sei dabei mit einem Seitenaspekt. Zarathustras Scheitern als Erzieher schon in „Zarathustra´s Vorrede“ ist keineswegs ein Zeichen von Schwäche oder gar ein Konstruktionsfehler des „Zarathustra“. Vielmehr ist folgerichtig und zwingend, um die nun erst greifende Exposition Zarathustras in seiner neuen Rolle als Psychologe anschaulich zu machen. Quelle: „Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“ von Christian Niemeyer

Von Hans Klumbies