Das Christentum war das Unglück der Menschheit

Besonders grundlegend gerät Friedrich Nietzsches Abrechnung mit dem Apostel Paulus. Ihm hält er vor, er habe mit dem Symbol „Gott am Kreuze“ die ganze Erbschaft anarchischer Umtriebe im Reich, zu einer ungeheuren Macht aufsummiert. Es folgt eine Variante zum Sündenfallmythos unter der Überschrift „von der Höllenangst Gottes von der Wissenschaft“. Diese mündet in der Pointe, dass, in dieser Logik gedacht, der Mensch nicht als „Lernender“, sondern als „Leidender“ bestimmt war. Dieser hat zu jeder Zeit einen Priester nötig. Christian Niemeyer fasst zusammen: „In der Summe steht für Friedrich Nietzsche außer Frage, dass das Christentum bisher das größte Unglück der Menschheit war.“ Der Erziehungswissenschaftler und Psychologe Prof. Dr. phil. habil. Christian Niemeyer lehrte bis 2017 Sozialpädagogik an der TU Dresden.

Die Deutschen war Friedrich Nietzsches Feinde

Friedrich Nietzsches Resümee ist, nach einem bitteren Seitenblick auch auf Martin Luther und dessen Verachtung der Renaissance, eindeutig: „Es sind meine Feinde, ich bekenne es, diese Deutschen. Sie haben seit einem Jahrtausend beinahe, Alles verfilzt und verwirrt. Sie haben auch die unsauberste Art Christentum, die es gibt, den Protestantismus auf dem Gewissen. Wenn man nicht fertig wird mit dem Christentum, die Deutschen werden daran schuld sein.“

Friedrich Nitzsches letzte Schrift „Ecce homo. Wie man wird, was man ist“ gilt vielen Interpreten als sein definitiver Werkkommentar. Was er hier allerdings paraphrasiert, sind die Worte des Pilatus im Blick auf Jesus mit der Dornenkrone. Worte also, die dem „Gekreuzigten“ angemessen erscheinen. Mit dem „Gekreuzigten“ wird Friedrich Nietzsche wenige Monate später einige seiner letzten Briefe abzeichnen. Dazu kommt, dass nicht alles in „Ecce homo“ als seriöser Werkkommentar zu akzeptieren ist, da man beachten muss, dass der Autor sich dieses Werk an seinem 44. Geburtstag zu erzählen begann.

Friedrich Nietzsche misstraute allen Systematikern

Für Christian Niemeyer ist „Ecce homo“ nicht eine „kritische“, sondern eine „monomentale“ Künstler-Autobiographie. Den Dionysos-Kult spricht er darin wie folgt an: „Ich verspreche ein tragisches Zeitalter. Die höchste Kunst im Jasagen zum Leben. Die Tragödie wird wiedergeboren werden, wenn die Menschheit das Bewusstsein der härtesten, aber notwendigsten Krieg hinter sich hat, ohne daran zu leiden.“ Friedrich Nietzsche erzählte in „Ecce homo“ sein Leben so weit, wie es erforderlich war, den von ihm verfolgten Zweck zu erfüllen.

Für den Nietzscheforscher Christian Niemeyer folgt daraus: „Wer Friedrich Nietzsches Äußerungen in „Ecce homo“, zumal die werkinterpretatorisch relevanten, wörtlich nimmt, hat schon verloren und wird Teil des Mythos, den es zu sezieren gilt.“ Friedrich Nietzsche misstraute allen Systematikern und ging ihnen aus dem Weg. Denn seiner Meinung nach ist der Wille zum System ein Mangel an Rechtschaffenheit. In seinem Werk „Götzen-Dämmerung“ heißt es sogar: „Alles, was Philosophen seit Jahrtausenden gehandhabt haben, waren Begriffs-Mumien.“ Quelle: „Auf die Schiffe, ihr Philosophen!“ von Christian Niemeyer

Von Hans Klumbies