Das Lernen aus dem Leben führt zur Weisheit

Weisheit ist eine seltene und außergewöhnliche Eigenschaft, und den meisten Menschen wird es nicht vergönnt sein, sie in hohem Maße zu erwerben. Deshalb müssen Weisheitsforscher immer wieder hinterfragen, inwieweit ihre Vorstellungen von Weisheit vielleicht nur ihren persönlichen Vorstellungen von optimaler Entwicklung wiedergeben. Judith Glück stellt fest: „Ab den 1980er-Jahren begann die Psychologie, sich für das Thema Weisheit zu interessieren. Ein wichtiger Grund dafür war zweifellos das zunehmende wissenschaftliche Interesse am Altern überhaupt.“ In Zukunft wird ein immer größerer Anteil der Bevölkerung über 60, 70, ja über 100 Jahre alt sein. Mit dieser Erkenntnis wuchs auch das wissenschaftliche Interesse daran, was das Altern eigentlich mit den Menschen macht, ob und wie es das Denken, das Gedächtnis und die Persönlichkeit verändert. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Die Liebe ist ein Urphänomen

Es gibt heutzutage ein krank machendes Verhalten, gegen das schon Viktor Frankl mit großer Leidenschaft zu Felde zog, ein Verhalten, dass nach wie vor eine wesentliche Ursache für das Entstehen existentieller Frustration ist. Gemeint ist der Mangel an Hingabe, an Liebe: zu Menschen, zu Aufgaben, zum Leben. Liebe nannte er die „personale Seinsweise“ des Menschen. Was heißt das? Uwe Böschemeyer erläutert: „ Die Liebe ist ein spezifisch menschlicher, der wichtigste, der einzig normative Wert. Mag er noch so verkapselt, verschüttet, verdrängt sein. Er bleibt eine reale Möglichkeit eines jeden Menschen. Er ist ein Urphänomen.“ Deshalb wartet letztlich jeder Mensch darauf – und sei es ihm noch so unbewusst –, nicht nur geliebt zu werden, sondern auch selbst lieben zu können. Uwe Böschemeyer ist Rektor der Europäischen Akademie für Wertorientierte Persönlichkeit und Leiter des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse in Salzburg.

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Der fanatische Fremdenfeind hasst alle Ausländer

Menschen mit fremdenfeindlichen Haltungen fühlen sich im Gegensatz zu den Fanatikern nicht in jedem Augenblick von selbstwertbedrohlichen Gefühlen umgetrieben. Ernst-Dieter Lantermann nennt den Grund dafür: „Ihnen bleiben in aller Regel noch andere Orte und Gelegenheiten, ihr angegriffenes Selbstwertgefühl zu stärken, jenseits der Sicherheitsgewinne, die sie aus ihrer Fremdenfeindlichkeit ziehen.“ Der Fanatiker setzt dagegen alles auf eine Karte: Er kennt nur den einen Weg, seine Selbstsicherheiten und seine Selbstwertschätzung zurückzugewinnen – die Fremden mit höchster Konsequenz zu verachten und zu bekämpfen. Während sich fremdenfeindliche Menschen damit begnügen, ihre Ablehnung mit abfälligen Bemerkungen und Gesten, verbalen Rundumschlägen, Beleidigungen, Erniedrigungen, Ab- und Ausgrenzungen oder in Form versteckter oder offener Diskriminierung zum Ausdruck zu bringen, gibt sich der fanatische Fremdenfeind damit nicht zufrieden: Er hasst die fremden Eindringlinge, und sein Hass zielt auf deren Vernichtung. Ernst-Dieter Lantermann war von 1979 bis 2013 Professor für Persönlichkeits- und Sozialpsychologie an der Universität Kassel.

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Verschiebung und Verdichtung gestalten den Traum

Der Traum ist für Sigmund Freud das Ergebnis einer „sekundären Bearbeitung“ von Erfahrungsresten, die er in seiner „Bilderschrift“ gleichzeitig „verdichtet“ und „verschiebt“, das heißt: konzentriert und umlenkt. Sigmund Freud schreibt: „Traumverschiebung und Traumverdichtung sind die beiden Werkmeister, deren Tätigkeit wir die Gestaltung des Traumes hauptsächlich zuschreiben dürfen.“ Der Traum sei knapp, armselig, lakonisch im Vergleich zu dem Umfang und zur Reichhaltigkeit der Traumgedanken. Der Traum fülle niedergeschrieben eine halbe Seite; die Analyse, in der die Traumgedanken enthalten seien, bedürfe das sechs-, acht-, zwölffache an Schriftraum. Peter-André Alt ergänzt: „Der Traum ist überbestimmt, denn er entsteht aus der Konzentration, die im Verdichtungsprozess stattfindet.“ Dabei kommt es häufig zu einer direkten Veranschaulichung der in einem Wort bezeichneten Bedeutung. Peter-André Alt ist Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an der Freien Universität Berlin.

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Jeder Mensch sehnt sich nach Liebe

Die Liebe lässt sich nicht erklären, und doch, wenn man sie erlebt, erklärt sie alles. Wer zum ersten Mal wirklich liebt, nimmt die Welt um sich herum plötzlich völlig anders wahr. Andreas Salcher fügt hinzu: „Unser ganzes Denken und Körpergefühl verändert sich. Die Schmetterlinge im Bauch, von deren Existenz wir bestenfalls aus Liebesfilmen wussten, erwachen auf einmal tatsächlich in uns zum Leben.“ Und damit die Hoffnung, dass der andere das eigene Selbst von allen seinen Verletzungen heilen wird. So wie früher Liebesbriefe lösen heute Nachrichten auf dem Smartphone ungeahnte Glücksgefühle aus. Das Warten auf die nächste Botschaft wird unerträglich und eine neutrale oder gar diffuse Nachricht des Geliebten stürzt das eigene Selbst in tiefste Verzweiflung. Dr. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Bestseller-Autor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen.

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Der Mensch hat eine Veranlagung zu Imitation und Mimikry

Wenn es zutrifft, dass das, was ein Mensch sieht, sein Handeln bestimmt, folgt daraus, dass er, je häufiger er eine bestimmte Person im Alltag sieht, umso mehr Gelegenheit hat, zu tun, was sie tut. Und wen sieht man in der Regel mehr als alle anderen? Den Lebenspartner. John Bargh erläutert: „Unsere chamäleonhafte Natur hat in langen Liebesbeziehungen eine faszinierende körperliche Wirkung.“ Man braucht dabei nur an ein typisches Paar zu denken, das seit 25, 30 oder mehr Jahren verheiratet ist. Die beiden sehen sich jeden Tag, sie reden miteinander und sind ständig, ob bewusst oder unbewusst, Zeugen des Gesichtsausdrucks und der emotionalen Reaktionen des anderen. Prof. Dr. John Bargh ist Professor für Psychologie an der Yale University, wo er das Automaticity in Cognition, Motivation, and Evaluation (ACME) Laboratory leitet.

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Ein Mord kann einen Welleneffekt auslösen

Mit den strafrechtlichen Begriffen Mord und Totschlag wird normalerweise die widerrechtliche Tötung einer anderen Person beschrieben. Julia Shaw erläutert: „Mit anderen Worten, es handelt sich um Strafbestände, die weder das Töten in Notwehr, zur Gefahrenabwehr noch das staatlich sanktionierte Töten in Form der Todesstrafe oder im Rahmen eines Krieges mit einschließen.“ Der Tod kann daraus resultieren, dass man eine Person umbringen wollte, oder daraus, dass man sie schwer verletzen wollte. Dies ist der „mens rea“ – der schuldige Geist – die Voraussetzung dafür, dass eine Tötung als Mord betrachtet wird. Ein übergeordneter Begriff aus der Kriminologie ist „Homizid“. Homizid ist die absichtliche und widerrechtliche Tötung eines Menschen und schließt üblicherweise sowohl Mord als auch Totschlag ein. Julia Shaw forscht am University College London im Bereich der Rechtspsychologie, Erinnerung und Künstlicher Intelligenz.

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Der menschliche Geist ist eine Art Spiegel

Selbst komplexe Handlungsmuster bedürfen nicht unbedingt einer bewussten Entscheidung. William James schrieb in seinem berühmten Kapitel „Der Willen“ von 1890, dass menschliches Verhalten aus unbewussten und nicht intentionalen Quellen entspringt, auch das Verhalten, das dem, was jemand gegenwärtig in der Welt erlebt und sieht, angemessen ist und ihm nahegelegt wird. Die bewussten Willensakte, so William James, sind Akte der Kontrolle über diese unbewussten Impulse, die manche durchlassen, andere hingegen nicht. John Bargh erläutert: „Der menschliche Geist ist eine Art Spiegel: Er generiert potenzielles Verhalten, das die Situation und die Umgebung widerspiegelt, in der man sich gerade befindet. Bevor man es merkt, wird das, was man tut, von dem bestimmt, was man sieht.“ Prof. Dr. John Bargh ist Professor für Psychologie an der Yale University, wo er das Automaticity in Cognition, Motivation, and Evaluation (ACME) Laboratory leitet.

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Es gibt keine Freiheit inklusive Sicherheit

Das Blöde an der Freiheit ist, dass sie anstrengend ist. Viele Menschen haben gelernt, das Anstrengende zu vermeiden. Und noch blöder ist, dass an der Freiheit nichts sicher ist. Anja Förster und Peter Kreuz fügen hinzu: „Das sind verdammt schlechte Nachrichten für diejenigen, die glauben, sie könnten Freiheit inklusive Sicherheit im Paket bestellen.“ In Deutschland hat es Tradition und erscheint vielen Menschen völlig normal, ihre Freiheit zurückzuweisen. Für sie ist es völlig in Ordnung, das eigene Schicksal daran zu knüpfen, dass ein anderer etwas tut oder lässt. Viele sind das einfach so gewöhnt, im Kindergarten und in der Schule aufgerufen zu werden – oder ansonsten ihre Klappe zu halten und stillzusitzen. Anja Förster und Peter Kreuz nehmen als Managementvordenker in Deutschland eine Schlüsselrolle ein.

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Meistens haben Menschen keinen Zugang zu ihrem Denken

Normalerweise haben Menschen das Gefühl, dass sie über die Vorgänge in ihrem Kopf recht gut Bescheid wissen – worüber sie gerade nachdenken und welche Denkprozesse gerade ablaufen. Aber diese Überzeugung ist laut Richard E. Nisbett meilenweit von der Wirklichkeit entfernt. Denn ein immenser Teil der Einflüsse auf die Urteile eines Menschen und sein Verhalten wirkt im Verborgenen. Reize, die man bewusst kaum wahrnimmt – falls man ihnen überhaupt Beachtung schenkt –, können sich auf das, was man tut, gravierend auswirken. Richard E. Nisbett ergänzt: „Viele der Reize, die wir bemerken, haben Konsequenzen, die über das, was uns plausibel erscheint, weit hinausgehen.“ Ein Mensch weiß zum Beispiel nicht, dass er langsamer geht, wenn er an alte Leute denkt. Richard E. Nisbett ist Professor für Psychologie an der University of Michigan.

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Unterschiedliche Aufgaben verlangen differenzierte Rollen

Interaktionen können gelingen oder misslingen, im Beruf ebenso wie im Privaten. Kleine Fehler oder Unachtsamkeiten können große emotionale Konsequenzen nach sich ziehen oder zu peinlichen Momenten führen. Jens Weidner schreibt: „Wir alle müssen sehr unterschiedliche Rollen im Leben beherrschen, denn „Wir spielen alle Theater“, wie schon der berühmte amerikanische Interaktionist Erving Goffman in seinem gleichnamigen Buch zur Selbstdarstellung im Alltag postulierte.“ Er meinte damit aber kein Theaterstück, sondern die Flexibilität, unterschiedlichen Rollenerwartungen gleichzeitig gerecht zu werden. Er beschäftigte sich mit den Fallstricken der Asymmetrie der Kommunikation, die man umgehen sollte. So kann der Versuch des Chefs, durch Selbstironie einen Konflikt zu entschärfen, beim Gegenüber als unerträgliche Selbstgefälligkeit ankommen oder als gelungener Humor. Nur weiß man das erst hinterher. Jens Weidner ist Professor für Erziehungswissenschaften und Kriminologie.

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Der Mensch ist alles andere als ein rationaler Optimierer

Das im 20. Jahrhundert vorherrschende Menschenbild in Ökonomie und Politik wirkt für Matthew B. Crawford im Rückblick wenig überzeugend. Es besagte, der Mensch sei ein rationales Wesen, das alle für seine Situation relevanten Informationen sammle, die besten Mittel zum Erreichen seiner Ziele auswähle und schließlich die optimale Entscheidung fälle. Die Annahme lautete, Menschen seien zu solchem Vorgehen imstande, weil sie wüssten, was sie wollten, und die Ermittlung der optimalen Entscheidung sei einfach, weil es keinen Konflikt zwischen den persönlichen Interessen gebe, die alle auf derselben, eindimensionalen „Utilitätsskala“ angesiedelt seien. Die psychologisch besser geschulten „Verhaltensökonomen“ haben diese Vorstellung vom Menschen als einem rationalen Optimierer einer gründlichen Prüfung unterzogen. In zahlreichen Arbeiten haben sie gezeigt, dass ein Mensch immer wieder Opfer des sogenannten „Planungsfehlschlusses“ wird. Matthew B. Crawford ist promovierter Philosoph und gelernter Motorradmechaniker.

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Reinhard Haller kennt das Wesen der Kränkung

Ob sie es wollen oder nicht, die meisten Menschen schleppen ein ganzes Paket von dem, was man wohl als Kränkung bezeichnet, mit sich herum und werden es gar nicht so leicht wieder los. Reinhard Haller weiß: „Obwohl Bedeutung und Stellenwert von Kränkungen in unserem Leben und ihr destruktives Potential unübersehbar sind, reagieren wir bei diesem Thema wie bei den meisten psychischen Problemen zurückhaltend und verdrängend.“ Fragen nach seelischen Verletzungen erleben viele Menschen als wenig feinfühlig, eher als taktlos, manchmal als nahezu übergriffig. Es ist ihnen peinlich, über ihre Gefühle zu sprechen. Schon gar nicht wollen sie eine Schwäche – als solche empfinden sie Kränkungen – zugeben. So etwas behält man lieber für sich. Reinhard Haller ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen.

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Die autoritäre Persönlichkeit will Sicherheit statt Freiheit

Die Grundstruktur des autoritären Denkens kann nur verstanden werden, wenn man dahinter die enttäuschten Bindungshoffnungen sieht – das zerstörte menschliche Vertrauen. Und genau daraus ergibt sich auch die Antwort auf das grundlegende Rätsel des Autoritarismus: Warum um alles in der Welt sollte jemand eine Diktatur gegenüber der Freiheit bevorzugen? Herbert Renz-Polster kennt die Antwort auf diese Frage: „Ganz einfach, weil Freiheit nicht zu Unsicherheit passt. Die autoritäre Persönlichkeit will Sicherheit statt Freiheit, sie will Ordnung statt Offenheit, sie will Hierarchie und kein Netzwerk. Der unsichere Mensch sucht Schutz, er strebt nach einem Leben im fremden, nicht im eigenen Sinn.“ Die zerbrochene Bindung bekommt nun einen Ersatz. Der Kinderarzt Dr. Herbert Renz-Polster hat die deutsche Erziehungsdebatte in den letzten Jahren wie kaum ein anderer geprägt.

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Ein Fundamentalist leidet unter einem geringen Selbstbewusstsein

Fundamentalistische Entwicklungen sind letzten Endes traurige Entwicklungen. Georg Milzner erläutert: „Wie im Fall des Narzissmus, wo ein künstliches Selbst sich in tausend Spiegeln seiner Bedeutung versichert, so liegt auch beim Fundamentalismus eine Bedürfnislage vor, die bei einer gelungenen Selbst-Entwicklung in dieser Form nicht bestünde.“ Diese Bedürfnislage richtet sich auf Dinge, die selbstverständlich sein sollten, es aber in einer Epoche diffundierender Aufmerksamkeit längst nicht mehr sind: Ordnung und Halt. Für gewöhnlich wird der Fundamentalismus ähnlich wie der Narzissmus mit einem geringen Selbstbewusstsein sowie mit dem Wunsch nach persönlicher Aufwertung verknüpft. Diese beiden Elemente sind ohne Zweifel aus individuellen Biografien herauszufiltern. Doch sie genügen keinesfalls, um das Phänomen in seiner Breite zu erklären. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

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Die Gefühlsarbeit ist das Schmiermittel der Gesellschaft

Wer denkt, nur die Liebe stellt den Gefühlshaushalt eines Menschen auf die Probe, irrt. Auch im Arbeits- und Geschäftsleben warten heutzutage zahlreiche emotionale Herausforderungen. Ulrich Schnabel nennt ein Beispiel: „Schon das Betreten eines modernen Kaufhauses ähnelt dem Eintauchen in ein sorgfältig temperiertes Bad der Emotionen, das einen wärmend umhüllt und zielgerichtet umschmeichelt.“ Angenehm plätschernde Hintergrundmusik, appetitlich aufgebaute Waren, einladend lächelnde Mitarbeiter – die Kunden sollen sich wohl und geborgen fühlen und den Wunsch entwickeln, möglichst viel von dieser Stimmung in bezahlter Form mit nach Hause zu nehmen. Kein Geschäft kommt heute ohne Emotionen aus. Wer erfolgreich sein will, muss vielmehr das Spiel auf der Klaviatur der Gefühle beherrschen, und zwar sowohl auf der eigenen wie auf der des Gegenübers. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

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Herausforderungen lassen das Leben zu einem Kunstwerk werden

Es kommt nicht primär darauf an, wie die Vergangenheit eines Menschen war oder wie seine Zukunft aussieht, sondern darauf, wie er sie deutet und versteht, ob er Sinn in seinem jetzigen Leben suchen will. Ob er bereit ist, immer wieder aufs Neue selbst der Entscheidende zu sein. Ob er, was immer ihm widerfährt, „Herr im eigenen Haus“ bleibt. Das menschliche Leben kann allerdings manchmal ganz schön hart sein. Uwe Böschemeyer weiß: „Schwierige Zeiten nur traurig zu finden oder sie anzuklagen, ist zwar verständlich, aber leicht. Sie jedoch als Herausforderung zu nehmen und das Beste daraus zu machen, kann Leben zu einem Kunstwerk werden lassen.“ Uwe Böschemeyer ist Rektor der Europäischen Akademie für Wertorientierte Persönlichkeit und Leiter des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse in Salzburg.

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Kein Mensch kann multitasken

Die Meinungen der Menschen über aktuelle Ereignisse wurden und werden zutiefst vom Internet beeinflusst. Viele Menschen lassen sich auf einen ständigen Nachrichtenstrom ein, der zweifellos beeinflusst, wie sie die Welt sehen, und auch prägt, auf welche Weise sie einander ihre Erfahrungen mit der Welt mitteilen. Julia Shaw weiß: „Soziale Medien steigern unsere Möglichkeiten, unabhängige Bestätigungen dafür zu finden, dass unsere Erinnerungen stichhaltig sind, haben aber auch das Potenzial, sie zu verfälschen und zu verzerren.“ Menschen denken über Dinge nach, die sich gerade ereignet haben, sie dokumentieren Dinge, von denen sie denken, sie würden die meisten Likes bekommen, sie filtern ihr Leben so, dass es erstrebenswert und interessant aussieht. Die Rechtspsychologin Julia Shaw lehrt und forscht an der London South Bank University.

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Das Bewusstsein braucht Geist und Gefühl

Die Vorstellung, dass Bewusstsein im weitesten Sinn des Wortes zahlreichen Arten von Lebewesen zur Verfügung steht, hat eine gewisse Berechtigung. Antonio Damasio fügt hinzu: „Die Frage ist natürlich, um was für eine „Form“ von Bewusstsein es sich handelt und welche Mengen davon andere Arten besitzen.“ Es besteht kaum Zweifel daran, dass Bakterien und Protozoen die Bedingungen in ihrer Umwelt wahrnehmen und darauf reagieren. Das gilt auch für Pantoffeltierchen. Pflanzen reagieren auf Temperatur, Wassergehalt und Sonneneinstrahlung, indem sie langsam Wurzeln hervorbringen und ihre Blätter und Blüten drehen. Alle diese Lebewesen „spüren“ ständig die Gegenwart anderer Lebewesen oder ihrer Umwelt. Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Selbst vergessene Träume haben Einfluss auf das wache Leben

Wenn ein Mensch träumt, hat sein Gedächtnis das Sagen. Immer noch steht es in der Macht des bewussten Geistes, höchst beunruhigende Erinnerungen zurückzuweisen. Dennoch haben manchmal selbst vergessene Träume einen subtilen Einfluss auf das wache Leben. Während nahezu alle Träume vergessen werden, leuchten angenehme und insbesondere sexuelle Träume noch viele Stunden hell nach. David Gelernter ergänzt: „Erfreuliche Träume strahlen aus, ob wir uns an die Details erinnern oder nicht.“ Auch solche „entrückenden“ Träume tauchen nicht oft auf. Aber auch gewöhnliche Träume können das Alltagsleben selbst dann beeinflussen, wenn man sie nahezu vollständig vergessen hat. Zufällig tun oder sagen Menschen etwas, das mit einem fast vergessenen Traum zu tun hat – und dann spürt man eine schwache Reaktion unterhalb der Bewusstseinsebene des Gedächtnisses. David Gelernter ist Professor für Computerwissenschaften an der Yale University.

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Emotionen wandern von einem Menschen zum anderen

Die menschlichen Gehirne sind so aufgebaut, dass sie einander Emotionen rasch übermitteln können, denn Gefühle transportieren sehr häufig wichtige Funktionen über die Umgebung. Registriert zum Beispiel ein Mensch die Angst eines anderen, verspürt er wahrscheinlich auch Angst und überprüft folglich seine Umgebung auf Gefahren. Das kann die Rettung sein. Und wenn jemand bei einem anderen Begeisterung wahrnimmt, ist das ansteckend, und des könnte sich lohnen, die Umgebung nach etwas Reizvollen abzusuchen. Tali Sharot erklärt: „Das alles geschieht sehr rasch, bevor wir auch nur den Hauch einer Chance haben, darüber nachzudenken.“ Offenbar ist die Fähigkeit angeboren, Freude, Schmerz und Stress anderer mitzufühlen. Tali Sharot wurde an der New York University in Psychologie und Neurowissenschaften promoviert und ist Professorin am Institut für experimentelle Psychologie der University of London.

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Mordfantasien sind etwas ganz Normales

Viele Menschen lieben es, zu töten. Was zunächst einmal großartig ist, weil sie töten müssen, um zu überleben. Sie töten etwas, was sie essen können. Sie töten die Bakterien, bevor diese sie selbst töten. Sie töten aus Notwehr. Weil die Menschen in der Nahrungskette ganz oben stehen, werden sie als „Spitzenprädatoren“ bezeichnet. Julia Shaw erklärt: „Das liegt daran, dass Menschen, was die Quantität und Vielfalt angeht, mehr töten als jede andere Spezies.“ In einer wissenschaftlichen Abhandlung aus dem Jahr 2015 legen Chris Darimont und Kollegen dar, dass die Menschen so viel töten, dass sie weltweit ökologische und evolutionäre Prozesse verändern. Sie töten inzwischen so viel, dass es für viele Arten existenzbedrohend ist. Julia Shaw forscht am University College London im Bereich der Rechtspsychologie, Erinnerung und Künstlicher Intelligenz.

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Naturerlebnisse schenken einem Menschen Ruhe und Freiheit

Amerikanische Psychologen von der Universität Rochester interessierten sich für die Frage, welche Auswirkungen ein Naturerlebnis auf die Einstellung von Menschen zu ihren Mitmenschen hat. Sie unterschieden hierzu zunächst zwei generelle Lebensziele, intrinsische und extrinsische. Manfred Spitzer erklärt: „Intrinsische Motive betreffen unsere eigenen Grundbedürfnisse wie das Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach Vertrautheit und persönlichem Wachstum. Extrinsische Motive hingegen betreffen Dinge, die nicht selbst einen Wert haben, sondern deren Wert davon abgeleitet ist, dass alle danach streben. Geld oder ein guter Ruf sind Beispiele für derartige Motive.“ Interessanterweise hängt das persönliche Glück sehr stark davon ab, ob man eher auf die Gemeinschaft oder auf sich selbst fokussiert ist. Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer leitet die Psychiatrische Universitätsklinik in Ulm und das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen.

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Die meisten Menschen beherrschen die Kunst der Verstellung

Wenn Fehleinschätzungen der eigenen Fähigkeiten und Gründe oft und systematisch auftauchen, dann stellt sich für Philipp Hübl die Frage, wie sie evolutionär von Vorteil gewesen sein können. Als Antwort darauf gibt es mehrere Vorschläge. Der Evolutionsbiologe Robert Trivers nimmt an, dass Selbsttäuschung sich im Dienste der sozialen Täuschung entwickelt hat. Friedrich Nietzsche hat diese soziobiologische Grundidee schon 150 Jahre früher so zusammengefasst: „Der Intellekt, als ein Mittel zur Erhaltung des Individuums, entfaltet seine Hauptkräfte in der Verstellung. Im Menschen kommt diese Verstellungskunst auf ihren Gipfel: hier ist die Täuschung, das Schmeicheln, Lügen und Trügen, das Hinter-dem-Rücken-reden, das Repräsentieren, das im erborgten Glanze Leben, das Maskiertsein, die verhüllende Konvention, das Bühnenspiel vor anderen … die Regel und das Gesetz.“ Philipp Hübl ist Juniorprofessor für Theoretische Philosophie an der Universität Stuttgart.

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Reinhard Haller erkennt in der Kränkung eine Interaktion

Eine Kränkung wird keinesfalls nur über deren Art und Inhalt bestimmt, sondern hängt ebenso ab von der Person des Kränkenden und der Sensibilität des potenziell Gekränkten. Reinhard Haller erläutert: „Kränkungen sind mehr als eine gerichtete Aggression auf der einen und mehr als eine erlittene Verletzung auf der anderen Seite. Nie kann man sie eindimensional verstehen.“ Kränkungen sind nicht nur schmerzliche Emotionen oder negative Affekte, sondern Störungen des Gefühlserlebens und des Gefühlsausdrucks zugleich, ja noch mehr als beides zusammen. Kränkungen bilden intra- und interindividuelle Vorgänge, allgegenwärtige soziale Mechanismen, sie stellen zwischenmenschliche Interaktion dar. In jeder Kränkung findet ein Prozess statt zwischen jemandem, der kränkt, und jemand anderem, der gekränkt wird. Reinhard Haller ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen.

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