Die Krisen an Europas Grenzen häufen sich besorgniserregend

Beobachter aus dem Westen hat das Kriegsgebahren Wladimir Putins in der Ukraine ziemlich verwirrt. Ob es nun hybrid genannt wird, mehrdeutig oder getarnt, spielt dabei keine Rolle. Jean-Marie Guéhenno, Präsident der International Crisis Group, erklärt: „Unerklärte Konflikte sind ein wichtiger Bestandteil heutiger Kriege. Diese Konflikte fordern Europa heraus. Wie verteidigt man sich politisch und rechtlich gegen verdeckte Aggression?“ Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Kalten Krieges ist Europa plötzlich mit einer ganzen Reihe neuer Bedrohungen konfrontiert. Die Destabilisierung durch Russland an der Ostgrenze ist nur eine davon, wenn auch eine spektakuläre. Höchste Bedeutung geben Sicherheitsexperten der Bedrohung durch Cyber-Angriffe, weil auch hier viele neue Probleme des internationalen Rechts, in den Freiheitsrechten der Bürger und im technologischen Wettlauf um Sicherheit und Vorherrschaft aufgeworfen werden.

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Der Kaiser wurde zum Symbol der neuen deutschen Nation

Mit der Gründung des Deutschen Reichs im Januar 1871 war das seit Beginn des Jahrhunderts offene Problem eines deutschen Nationalstaats mit dem Schwert gelöst worden. Alle anderen Anläufe, insbesondere der bürgerlich-revolutionäre Versuch von 1848/49 waren vorher gescheitert. Ulrich Herbert erläutert: „Das Reich war von Fürsten, Beamten und Militärs geschaffen worden, nicht von Bürgern, Bauern oder Arbeitern. Das spiegelte sich in Verfassung und politischer Struktur ebenso wider wie in den gesellschaftlichen Rangordnungen.“ Das politische Herrschaftssystem basierte auf vier Verfassungsorganen: Kaiser, Kanzler, Reichstag und Bundesrat. Das Parteiensystem setzte sich aus fünf relativ stabilen Parteirichtungen zusammen: Konservative, Nationalliberale, Linksliberale, Zentrum und Sozialdemokratie. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

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Das Römische Imperium wurde von zwei Konsuln regiert

Ursprünglich war Rom eine Republik und keine vollständige Demokratie. Vom 16. bis 60. Lebensjahr hatte jeder männliche Bürger den Einberufungen zum Kriegsdienst zu folgen. Lediglich wer gar keinen Besitz hatte, wurde in der Epoche des Römischen Imperiums nicht einberufen. Politische Ämter konnte nur derjenige übernehmen, der mindestens zehn Jahre gedient hatte. Die Patrizier und die reichsten Ritter bildeten die sogenannten beiden „Orden“. Dreihundert Männer aus diesen Geschlechtern bildeten auf Lebenszeit das Oberhaus, den Senat, der über Bündnisse, Finanzen, Rechtsprechung und den Krieg entschied. Der dritte Stand, die Plebs, trat nach Einberufung durch einen Konsul oder Tribun in der Volksversammlung zusammen und stimmte entweder für oder gegen bestimmte Senatsvorlagen. Das Volk versammelte sich entweder in Stimmbezirken nach dem Besitzstand oder nach Wohnvierteln. Die Besitzlosen waren in wenigen Stimmbezirken zusammengefasst.

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Staatseingriffe sind nur bei Versagen des Marktes gerechtfertigt

Folgt man einigen überkommenen ökonomischen Theorien, sollen in solchen Fällen Staatseingriffe gerechtfertigt sein, wenn ein Versagen des Marktes droht. Im Wesentlichen sind dabei folgende Fälle als Marktversagen anerkannt: das Vorliegen externer Effekte, Informationsasymmetrien, Marktmacht und die Schaffung sogenannter öffentlicher Güter. Externe Effekte treten laut Daniel Zimmer dann auf, wenn Handlungen unmittelbare und nicht über Märkte vermittelte Auswirkungen auf daran zunächst unbeteiligte Personen haben. Daniel Zimmer nennt ein Beispiel: „Ein Produzent, der Schadstoffe einfach in ein öffentliches Gewässer leitet, verlagert die Kosten seines Handelns (Umweltbelastung) auf Dritte, etwa die Allgemeinheit.“ Das Recht kann nun auf verschiedene Weisen reagieren: Es könnte zum Beispiel bestimmte Emissionen durch öffentliches Ordnungsrecht verbieten oder die Emissionen mit einem Preis versehen, damit die Kosten dem Umweltsünder auferlegt werden. Professor Daniel Zimmer ist Vorsitzender der Monopolkommission und Direktor des Center for Advanced Studies in Law and Economics der Universität Bonn.

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Der Krieg in der Ukraine ist ein Vorbote künftiger Krisen

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird klar, dass der von 1947 bis 1989 andauernde „Kalte Krieg“ wie ein gigantisches Kühlhaus wirkte, das viele der politischen Leidenschaften, die vorher in Europas Bevölkerungen vorherrschten, tiefgefroren hat. Micha Brumlik ergänzt: „Seit 1989 herrscht Tauwetter, in dem Nationalismen wie Zombies wiederauferstehen. Jeder Blick in die Medien bestätigt die Aktualität dessen, was abwertend als „Nationalismus“ und wohlwollend als „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ bezeichnet wird.“ Davon zeugen nicht nur die Euroskeptiker in den politischen Parteien, sondern vor allem die Unabhängigkeitsbewegungen der Katalanen, der Schotten, der Flamen sowie der Basken. Vor allem aber der Krieg in der Ukraine macht dies mehr als deutlich. Micha Brumlik ist emeritierter Professor für Erziehungswissenschaften in Frankfurt am Main sowie Publizist.

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Die europäische Revolution ist einzigartig in der Geschichte

Es ist eine unbestrittene Tatsache, dass sich Europa in einem epochalen Umwälzungsprozess befindet. Es ist einzigartig in der Geschichte, dass sich souveräne Länder zu einer Gemeinschaft zusammenschließen, obwohl die meisten von ihnen über eine traditionsreiche eigene Staatlichkeit verfügen. Damit heben sie das Prinzip des Nationalstaats auf, das die Moderne beherrscht. Alle anderen politischen Revolutionen, die in der Nachkriegszeit stattgefunden haben wie beispielsweise der arabische Frühling, die orangene, die antisowjetische und antikoloniale Revolution sind dagegen Akte der Befreiung von Fremd- oder Gewaltherrschaft. Auf die europäische Revolution trifft dies nicht zu. Ihre Mitgliedsstaaten befreien sich von keiner fremden Herrschaft, sondern errichten gemeinsam eine neue. Allerdings geht es auch in diesem Fall um das Prinzip Freiheit. Doch jetzt erweitert sich ihr traditioneller nationaler Sinn um eine gemeinsam definierte transnationale Dimension.

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Die Welt der Wirtschaft ist den meisten Menschen schleierhaft

Das Denken und Verhalten eines Kaufmanns richtet sich auf die Optimierung von Umsatz und Gewinn. Der Philosoph und Ökonom Thureau-Dangin vertritt sogar folgende These: „Jedes Vorhaben verwandelt sich in ein Marktangebot.“ Rotraud A. Perner bedauert, dass dies sogar auf den Auftritt politischer Parteien zutrifft. Politiker werden vermarktet, angepriesen wie auf einem Basar für Sklaven, während die Parteiprogramme nur so von Phrasen strotzen und die wahren Entscheidungen verschleiert werden. Philippe Thureau-Dangin betont: „Selbst die mächtigsten Politiker und die größten Finanzkapitäne der Welt wissen keineswegs alles, tun aber doch so, als bestimmten sie das Schicksal einer Welt, von der sie zu großen Teilen gar keine Kenntnis haben.“ Rotraud A. Perner ist Juristin, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und absolvierte postgraduale Studien in Soziologie und evangelischer Theologie. Ihr aktuelles Buch heißt  „Die reuelose Gesellschaft“ und ist im Residenz Verlag erschienen.

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Viele Politiker sind stark auf ihre persönliche Bedeutung fixiert

Horst Seehofer, Bayerischer Ministerpräsident, lebt nach den Wahlen im September 2013 laut Frankfurter Allgemeinen Zeitung ganz in dem Bewusstsein, selbst das Volk zu sein. Zunehmend stellt er sich wie das Abbild eines Bürgerkönigs wie anno dazumal dar. Viele Politiker fallen aus Raum und Zeit, wenn sie erst einmal an die Macht gelangt sind. Thomas Rietzschel nennt ein Beispiel: „Als es um die Einführung der Euro-Bonds ging, um Staatsanleihen für Euro-Staaten, erklärte die deutsche Bundeskanzlerin, dazu würde es nicht kommen, solange sie lebe. Was ihr im Eifer des Gefechts entfuhr, verriet, dass sie sich eine Abberufung von der Entscheidungsebene nur durch den Gevatter Tod vorstellen kann.“ Thomas Rietzschel studierte Germanistik, Geschichte und Psychologie in Leipzig und ist Herausgeber mehrerer Bücher zur Kulturgeschichte der Moderne.

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Die Überzeugungskraft des demokratischen Rechtsstaats erlahmt

In der arabischen Welt benötigt man in vielen Orten Waffen, um westliche Werte zu sichern. Vor der Gewalt Russlands fürchten sich die Europäer, die Wirtschaftsmacht China beeindruckt sie. Im Inneren lebt der Westen gut mit offenen Grenzen und hoher Mobilität, die Wirtschaft ist relativ stabil. Doch es ist nicht alles Gold was glänzt. Udo di Fabio erklärt: „Aber spätestens seit der Weltfinanzkrise zeigen sich deutliche Risse im Fundament. Wir beobachten die Gleichzeitigkeit einer Internationalisierung der Oberschichten und den als populistisch wahrgenommenen dumpfen Protest derjenigen, die sich als Globalisierungsverlierer definieren.“ Durch Einwanderung und die Vernetzung über die Grenzen hinaus werden Gesellschaften nicht nur multikultureller und vielfältiger, sondern zersplittern sich auch in den Alltagskulturen. Udo di Fabio lehrt öffentliches Recht an der Universität Bonn. Er war bis 2011 Richter des Bundesverfassungsgerichts.

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Die Bildung hat für die Demokratie eine einzigartige Bedeutung

Die Demokratie lebt und fällt mit der Bildung derer, die sich für sie einsetzen, ob sie ihr nun regierend dienen oder ob sie als Bürger mitbestimmen, wer die Gemeinschaft auf welche Art und Weise vertreten soll. Der Brockhaus von 1840 definierte die Demokratie wie folgt: „Die Demokratie ist die Macht der höheren geistigen und moralischen Interessen.“ Wer die Demokratie damals vertreten wollte, brauchte mehr als nur Fachwissen, er brauchte eine Bildung, die ihn in die Lage versetzte, in größeren Zusammenhängen zu denken. Dieselben Bedingungen gelten für die Gegenwart noch umso mehr. Im 19. Jahrhundert gewann die Aufklärung, aus der Philosophie und Literatur hervorgegangen, politische Bedeutung. Mit der Bildung emanzipierte sich das Bürgertum. Dr. phil. Thomas Rietzschel lebt als freier Autor in der Nähe von Frankfurt.

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Roland Berger stellt sein Vier-Säulen-Programm für Europa vor

Die Europäische Union (EU) ist der größte Wirtschaftsraum der Welt und steht dennoch vor gewaltigen Herausforderungen. So ist zum Beispiel die Wettbewerbsfähigkeit mangelhaft, die Jugendarbeitslosigkeit untragbar hoch, das Wachstum gering und die Verschuldung gigantisch. Weitere Rettungspakete für Griechenland und andere Krisenländer sind nicht ausgeschlossen, die die Glaubwürdigkeit des Euro erneut gefährden würden. Selbst im hochgelobten Deutschland gibt es viel zu tun. Der Berater-Doyen Roland Berger hat sich deshalb Gedanken gemacht, wie man Europa zukunftsfest machen könnte. Sein Programm für wirtschaftlich stabiles Europa besteht aus vier Säulen. Roland Berger (76) ist Deutschlands bekanntester Politik- und Unternehmensberater. Im Jahr 1967 gründete er die Roland Berger Strategy Consultants, in deren Aufsichtsrat er noch heute als Ehrenvorsitzender über die Geschäfte wacht.

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Angela Merkel hat die Politik in Deutschland entpolisiert

Das Ansehen der Nichtwähler hat sich in manchen Kreisen deutlich verbessert. Sie werden nicht mehr als Antidemokraten beschimpft. Und das umso mehr, als es innerhalb des Spektrums der politischen Parteien, in der politischen Parallelgesellschaft keine Opposition mehr gibt, die diesen Namen auch verdient hätte und von der sich der Bürger etwas versprechen dürfte. Thomas Rietzschel kritisiert: „Wie auf dem Theater sind die Schaukämpfe in der politischen Arena unserer Tage Vorführungen ein und desselben Ensembles.“ Das dabei bisweilen die Fetzen fliegen, steigert zwar die Spannung, gefährdet aber keinesfalls den Zusammenhalt der Truppe. Nur gemeinsam können sich alle Politiker auf der Bühne behaupten. Thomas Rietzschel lebt als freier Autor in der Nähe von Frankfurt. Zuletzt erschien im Zsolnay Verlag sein Buch „Geplünderte Demokratie. Die Geschäfte des politischen Kartells“.

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Ein Imperium herrscht über eine große Vielfalt von Ethnien

Ein Imperium ist eine politische Ordnung mit zwei entscheidenden Eigenschaften. Yuval Noah Harari nennt die erste Eigenschaft: „Um als Imperium zu gelten, muss es über eine ausreichende Zahl von verschiedenen Völkern herrschen, von denen jedes seine eigene kulturelle Identität und sein eigenes Territorium hat.“ Die zweite Eigenschaft eines Imperiums besteht darin, dass es über flexible Grenzen und einen potentiell grenzenlosen Appetit verfügt. Imperien können sich immer mehr Völker oder Gebiete einverleiben, ohne dabei ihre Struktur oder Identität zu verlieren. Yuval Noah Harari nennt ein Beispiel: „Das heutige Großbritannien hat klar definierte Grenzen, die es nicht überschreien kann, ohne dass der Staat seine Struktur oder Identität völlig verändern würde. Aber vor einem Jahrhundert hätte fast jeder Ort auf der Erde Teil des Britischen Weltreichs werden können. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

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Für Gerechtigkeit in der Politik fehlt es an objektiven Maßstäben

Politiker, Journalisten und auch Gewerkschaftler kritisieren eine zunehmende Ungerechtigkeit in der Politik. Beginnt man über das Thema Gerechtigkeit nachzudenken, so erweist es sich recht schnell, dass ein Urteil über die Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit einer bestimmten Gestaltung, zum Beispiel der Einkommensgestaltung, einen Maßstab für die Beurteilung voraussetzt. Wird Arbeit mit der physikalischen Definition als das Produkt aus Weg und Kraft erfasst, so wird schnell deutlich, dass Martin Winterkorn, Vorstandsvorsitzender von VW, nicht das Hundertfache eines durchschnittlichen VW-Mitarbeiters verdient haben kann. Auch wenn die Bemessung des Einkommens am Zeitaufwand erfolgt, kann der VW-Chef nicht Millionen verdienen. Selbst er wird kaum mehr als 100 Stunden pro Woche arbeiten. Laut Daniel Zimmer fehlt es aber vor allem an objektiven Maßstäben dafür, ob eine bestimmte Einkommensgestaltung gerecht oder ungerecht ist. Professor Dr. Daniel Zimmer ist Vorsitzender der Monopolkommission und Direktor des Center for Advanced Studies in Law and Economics der Universität Bonn.

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Der Einfluss der Interessen auf die Gesetzgebung ist sehr groß

Der idealisierten Auffassung, unabhängige Abgeordnete beschlössen frei und in vollem Wissen der Auswirkungen ihres Tuns Gesetze, kann die Praxis aus verschiedenen Gründen nicht immer gerecht werden. Häufig fehlt den Abgeordneten einfach die Zeit für ein umfassendes Studium der Gesetzesvorlagen. Daniel Zimmer nennt Zahlen: „In einer vierjährigen Legislaturperiode gehen den Abgeordneten mehr als 12.000 sogenannte Bundestag-Drucksachen zu, die Gesetzentwürfe mit Begründungen, Anträge von Fraktionen oder der Bundesregierung und weitere mehr oder weniger wichtige Dokumente enthalten.“ Der Umfang dieser Drucksachen reicht von einer Seite bis zu mehr als 3.000 Seiten eines Haushaltsplans. Wer dies in Rechnung stellt, wird schnell erkennen, dass eine sachliche Auseinandersetzung des Parlaments mit sämtlichen Gesetzesvorlagen ausgeschlossen ist. Professor Dr. Daniel Zimmer ist Vorsitzender der Monopolkommission und Direktor des Center for Advanced Studies in Law and Economics der Universität Bonn.

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In der direkten Demokratie ist das oberste Organ immer das Volk

Christoph P. Gloor, Präsident der Vereinigung Schweizerischer Privatbanken, ist ein Anhänger der in der Schweiz vorgelebten direkten Demokratie: „Die direkte Demokratie sorgt dafür, dass die Politiker nicht abheben und nicht tun und lassen können, was sie wollen! Sie stellt auch das Verhältnis zwischen Bürgern und Regierung klar: Oberstes Organ ist immer das Volk. Die Regierung hat in dessen Interesse zu handeln.“ Es ist nicht vertretbar, dass der Steuerzahler klammen Banken aus der Bredouille hilft. Viel mehr sind laut Christoph P. Gloor diejenigen in die Pflicht zu nehmen, die für diese Misswirtschaft verantwortlich sind. Es ist nicht die Aufgabe des Staates Pleite-Banken zu retten, die nicht systemrelevant sind. Bei Privatbanken in der Schweiz tragen zum Beispiel die Bankiers die volle Konsequenz für ihr Handeln, gerade auch im Konkursfall.

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Die Idee der großen Koalition lähmte die Weimarer Republik

Die Deutschen, so ein weit verbreitetes Urteil, mögen keine politischen Konflikte. Und geradezu allergisch reagieren sie laut Andrea Wirsching, wenn sich der Streit als „Parteiengezänk“ darstellt. Der sozialdemokratische Staatsrechtler Gustav Radbruch hat dieses Phänomen schon in der Weimarer Republik aufgespürt und als „Parteienprüderie“ bezeichnet. Er beschreibt mit diesem Begriff den Unwillen, Parteien als legitime Organe politischer Willensbildung zu akzeptieren. In der Weimarer Zeit suchte deshalb die parlamentarische Elite gegen diesen Unwillen ein Patentrezept und erfand die große Koalition. Viele Politiker der damaligen Zeit erhoben die Idee der großen Koalition zum Maß aller Dinge, wenn es um die Existenzbedrohung des stets prekären Weimarer Parlamentarismus ging. Andreas Wirsching ist Direktor des Instituts für Zeitgeschichte München/Berlin und Inhaber des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

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Das europäische Modell droht seine Strahlkraft zu verlieren

Eine wichtige Triebkraft der europäischen Integration war das Bestreben der Europäer, sich gemeinsam in der Welt an der Spitze zu behaupten. Zusammen wollten die Staaten Europas weiter eine entscheidende Rolle als globale Macht spielen, die ein Einzelstaat nicht mehr ausfüllen konnte. Politisch ging es laut Dominik Geppert darum, sich als eigenständige diplomatische und geostrategische Kraft zu etablieren. Zunächst gegen die beiden Supermächte USA und Sowjetunion, in jüngster Zeit gegen den machtpolitischen Aufstieg Chinas. Wirtschaftlich stand anfangs vor allem das Ziel im Vordergrund, durch die Europäische Union ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen und im 21. Jahrhundert auch gegen aufstrebende Wirtschaftsmächte wie China und Indien bestehen zu können. Dominik Geppert ist seit 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

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Dominik Geppert analysiert die Krise der Europäischen Union

Dominik Geppert vertritt die These, dass die gegenwärtige Krise der Europäischen Union nicht nur durch eine neue Feindseligkeit und wachsendes Misstrauen in den Beziehungen der europäischen Staaten geprägt ist. Auch die gravierenden ökonomischen Verwerfungen, so schlimm sie auch im Einzelnen sein mögen, sind seiner Meinung nach nicht die verheerendsten Konsequenzen. Die fatalsten Folgen hat die Krise für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa. Dominik Geppert fügt hinzu: „Damit erreicht sie die Tiefenschichten des gesellschaftlichen Zusammenlebens und erschüttert das Fundament von Frieden und Freiheit. Rechtstaatlichkeit und Demokratie, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch durch die europäische Einigung gewahrt und gefestigt werden sollten, sind ernsthaft bedroht – nicht trotz, sondern wegen der Art und Weise, wie die europäischen Institutionen mittlerweile funktionieren.“ Dominik Geppert ist sein 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

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Unterschiedlichste Interessen begleiteten die Einführung des Euro

Bei der Gründung der Europäischen Währungsunion haben sich nicht nur Politiker, sondern auch Zentralbanker und Finanzfachleute verrechnet. Sie gingen von der irrigen Annahme aus, man könne zunächst elf, dann siebzehn, später sogar achtzehn Nationalstaaten in einem System fester unveränderlicher Wechselkurse vereinen und die negativen Folgewirkungen durch kluge Arrangements der Institutionen im Griff behalten. Dominik Geppert kritisiert: „Dem stand von Anfang an die Tatsache entgegen, dass die Mitgliedsstaaten der Währungsunion sich in ihren kulturellen und politischen Traditionen, in den vorherrschenden Mentalitäten und Denkweisen gewaltig voneinander unterschieden.“ Außerdem besaßen die Länder verschiedene Verwaltungs-, Steuer- und Sozialsysteme. Auch bei der Ausgestaltung des Arbeitsmarktes wichen sie stark voneinander ab. Dominik Geppert ist sein 2010 ordentlicher Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn.

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Der Kapitalismus fördert die Ungleichheit der Geschlechter

Ein Wesenszug des Kapitalismus und der Klassengesellschaft im Allgemeinen ist für Evelyn Reed die Ungleichheit der Geschlechter. Während die Männer in Wirtschaft, Kultur, Politik und Geistesleben die dominierende Rolle spielen, müssen Frauen eine untergeordnete, wenn nicht gar unterwürfige Position einnehmen. Auch wenn inzwischen immer mehr Frauen das männliche Monopol in Frage stellen, bleibt doch die grundsätzliche Benachteiligung der Frauen gegenüber den Männern bestehen. Dieser Mythos der weiblichen Unterlegenheit prägt die Klassengesellschaft seit ihren Anfängen vor ein paar Tausend Jahren durch ihre drei Hauptstadien: Sklaverei, Feudalismus und Kapitalismus. Evelyn Reed zieht daraus folgenden Schluss: „Darum ist die Klassengesellschaft als männerdominiert zu bezeichnen.“ Evelyn Reed, die von 1905 bis 1979 lebte, war eine amerikanische Frauenrechtlerin und Marxistin. Als Mitglied der Socialist Workers Party entlarvt sie als eine der Ersten das Patriarchat als einen Mythos.

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Ernst Fraenkel untersucht die Geschichte der öffentliche Meinung

Ernst Fraenkel definiert die öffentliche Meinung als die unorganische Weise, wie sich das, was ein Volk will und meint, zu erkennen gibt. Was sich wirklich im Staat geltend macht, muss sich seiner Meinung nach allerdings auf organische Weise betätigen, und das ist in der Verfassung der Fall. Aber zu allen Zeiten war die öffentliche Meinung eine große Macht und ist es besonders in der Demokratie, wo das Prinzip der subjektiven Freiheit diese Wichtigkeit und Bedeutung hat. Ernst Fraenkel schreibt: „Was jetzt gelten soll, gilt nicht mehr durch Gewalt, wenig durch Gewohnheit und Sitte, wohl aber durch Einsicht und Gründe.“ Ernst Fraenkel weist auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel hin, der die eigentliche Bedeutung der Stände darin erblickte, dass der Staat dadurch in das subjektive Bewusstsein der Bürger tritt und dass er an demselben teilzunehmen anfängt.

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Die Bevölkerung kann in der Klimafrage die Führung übernehmen

Wissenschaftler schätzen, dass im Jahr 2050 zwischen neun und zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben werden. Auf die Frage, ob die Menschheit diese Menschenmenge verkraften kann, antwortet der ehemalige UN-Generalsekretär und Friedensnobelpreisträger Kofi Annan: „Wir können bereit sein, wenn es uns gelingt, den Klimawandel anzugehen, Nachhaltigkeit und genug Nahrung für alle zu garantieren.“ Aber schon bei sieben Milliarden Menschen lastet auf der Erde ein gewaltiger Druck. Immer mehr Menschen steigen in die Mittelklasse auf und essen verstärkt Fleisch. Wenn die Menschheit weiter so wächst, muss sich einiges auf der Erde zum Guten wenden. Laut Kofi Annan wird die Macht von einzelnen Individuen in diesen großen Fragen oftmals unterschätzt. Der einzelne Mensch hat seiner Meinung nach durchaus Macht, vor allem über Entscheidungen, die sie treffen und über das was sie kaufen. Darüber können sie einen Druck ausüben.

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Joseph Stiglitz benennt die wesentlichen Kernaufgaben des Staates

Es gehört für den amerikanischen Ökonomen Joseph Stiglitz, der 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet wurde, zu den Kernaufgaben des Staates, das effiziente Funktionieren der Märkte zu gewährleisten, denn die offenkundigsten Manifestationen von Marktversagen sind die regelmäßig wiederkehrenden Episoden von Arbeitslosigkeit und unzureichender Auslastung der Produktionskapazitäten, der Rezessionen und Depressionen, die den Kapitalismus kennzeichnen. Allerdings besteht Streit darüber, wie sich dieses Ziel am besten erreichen lässt. Joseph Stiglitz erklärt: „Konservative haben versucht, den staatlichen Einfluss möglichst zu begrenzen.“ Zudem plante der Monetarismus Milton Friedmans die Zentralbanken auf eine starre Regel festzulegen, nämlich die Ausweitung der Geldmenge um eine feste Quote. Joseph Stiglitz ergänzt: „Als das nicht den erwünschten Erfolg brachte, verfielen Konservative auf eine andere einfache Regel – die Geldpolitik sollte an einem Zielkorridor der Inflationsrate ausgerichtet werden.

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Die Reichsgründung 1871 ist die Geburt einer verspäteten Nation

Mit der Reichsgründung von 1871 holten die Deutschen nach, was in Westeuropa sich schon einige Zeit früher und unter anderen Bedingungen vollzogen hatte: die Verwirklichung eines Nationalstaates. Das Deutsche Reich von 1871 war, im Sinne der demokratischen Idee der nationalen Selbstbestimmung der europäischen Völker, kein reiner Nationalstaat. Er war auch kein ausgeprägter Verfassungsstaat im Sinne der konstitutionellen Selbstbestimmung. Aber zur Zeit seiner Entstehung war das Deutsche Reich außenpolitisch die naheliegende und realistische Form, die sogenannte deutsche Frage zu lösen. Nur die kleindeutsche Lösung war mit den Interessen der übrigen Staaten in Europa eben noch zu vereinbaren. Die Alternative eines alle Deutschen umfassenden demokratisch-republikanischen Einheitsstaates oder einer großdeutschen Föderation war zur damaligen Zeit nicht zu verwirklichen. Nur das Bündnis der geschwächten Nationalbewegung mit der nationalen Führungsmacht Preußen, versprach noch die Realisierung der nationalen Einheit.

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